Mukhtar Mazari in seinem Zimmer; sein Gesicht will er nicht zeigen. © Issio Ehrich

Er kenne seine Heimatprovinz gar nicht ohne Krieg, sagt Mazari. Trotzdem habe er einst große Träume geträumt. Mazari wollte Arzt werden. Er begriff erst als Anfang 20-Jähriger, dass er diesen Traum in Afghanistan nie verwirklichen würde. Als er sich entschied, das Land zu verlassen, versuchte niemand, ihn umzustimmen. Seine Familie ist vor der Gewalt der Taliban aufs Land geflüchtet und braucht seither Geld, um in der Provinz überleben zu können. Mazari ging zunächst in den Iran.

Als nicht registrierter Zuwanderer versuchte er sein Glück auf dem Schwarzmarkt. Anfangs verdiente er auf Baustellen genug zum Überleben und um Geld nach Hause zu schicken. Doch die iranische Wirtschaft krankte, die Währung verlor an Wert. Es reichte nicht mehr für die Familie daheim. Außerdem reagierten Teile der Bevölkerung ablehnend auf Migranten. Es blieb nicht bei rassistischen Sprüchen, die iranischen Behörden schoben Afghanen im großen Stil ab. Vor drei Jahren entschied Mazari, weiter in die Türkei zu fliehen.

Wer kann, geht in die Türkei

Die Geschichte des jungen Mannes ähnelt der von vielen Afghanen in der Türkei. Der Umweg über den Iran ist typisch. Aber die USA verschärfen ihre Sanktionen gegen den Iran. Schlecht bezahlte Arbeiter aus Afghanistan werden dort immer weniger gebraucht und sind immer weniger gern gesehen. Laut der Internationalen Organisation für Migration sind allein 2019 rund 480.000 Afghanen ohne Papiere aus Iran in ihre Heimat zurückgekehrt, teils freiwillig, doch die meisten unter Zwang. Wer kann, flieht vor einer Deportation nach Afghanistan in die Türkei.

Das Phänomen schlägt sich längst in den türkischen Migrationsstatistiken nieder. Die Polizei in der Türkei hat im vergangenen Jahr 450.000 illegale Einwanderer aufgegriffen. Fast die Hälfte von ihnen waren Afghanen, die meist über die Grenze im Osten der Türkei einreisen.

Ein Mitbewohner Mazaris kratzt sich permanent am Bein. Irgendwann so heftig, dass er damit das Interview unterbricht. Er habe dieses Jucken seit einer Woche, sagt er. Was die Ursache ist, wisse er nicht so genau, einen Arzt könne er sich nicht leisten.

Wer in der Türkei nicht registriert ist, hat keine Krankenversicherung und keine Aussicht auf staatliche Hilfe. Überhaupt ist für viele Afghaninnen und Afghanen die Flucht vom Iran in die Türkei keine Verbesserung. Auch hier droht Abschiebung. Auch hier gilt: Wer sich erfolgreich in der Illegalität einrichtet, kann bestenfalls auf die schlecht bezahlten Jobs auf dem Schwarzmarkt hoffen. Mit umgerechnet 230 Euro Monatsgehalt als Schuster könne er sich in Istanbul durchschlagen, sagt Mazari. Doch er müsse am Essen sparen, wenn er seine Familie unterstützen wolle. "Wir verzichten abends oft aufs Kochen", sagt er.