29.09.2023

Mit Blick auf die seit Wochen auf­ge­heiz­te Debat­te zur Flücht­lings­po­li­tik und den aus­ufern­den Vor­schlä­gen zu immer mehr Abschre­ckungs­maß­nah­men appel­liert PRO ASYL am bun­des­deut­schen Flücht­lings­tag an alle Politiker*innen der demo­kra­ti­schen Par­tei­en: Betei­li­gen Sie sich nicht wei­ter an den rech­ten Dis­kur­sen, die sich allein dar­um dre­hen, Men­schen­rech­te ein­zu­schrän­ken und nicht-demo­kra­ti­sche poli­ti­sche Pro­zes­se anzu­sto­ßen. Hal­ten Sie dage­gen, neh­men Sie die Lösungs­vor­schlä­ge der Zivil­ge­sell­schaft ernst, die tag­täg­lich mit geflüch­te­ten Men­schen arbei­ten. Die auf­ge­heiz­te Debat­te um Geflüch­te­te ent­glei­tet zusehends.

Nicht nur die erstark­te AFD, son­dern auch vie­le Wort­bei­trä­ge aus den demo­kra­ti­schen Par­tei­en haben in den letz­ten Wochen und Mona­ten rech­te Nar­ra­ti­ve nor­ma­li­siert. Geflüch­te­te wer­den zum Sün­den­bock für jahr­zehn­te­lang ver­fehl­te Sozi­al- und Woh­nungs­bau­po­li­tik gemacht. Das ist nicht nur fern­ab der Rea­li­tät, son­dern auch brand­ge­fähr­lich. Vor­han­de­ne kon­kre­te Lösungs­vor­schlä­ge spie­len in der öffent­li­chen Debat­te kaum noch eine Rolle.

„Wir befin­den uns in einer sehr gefähr­li­chen Pha­se. Steu­ern wir auf eine rech­te Regie­rung zu, die Men­schen­rech­te zur Dis­po­si­ti­on stellt oder wol­len wir tat­säch­lich die Kom­mu­nen ent­las­ten und Wei­chen für eine gelin­gen­de Teil­ha­be stel­len und damit zu einem fried­li­chen Mit­ein­an­der bei­tra­gen?“, fragt Tareq Alaows, flücht­lings­po­li­ti­scher Spre­cher von PRO ASYL.

Flücht­lin­ge als Sün­den­bock für ver­fehl­te Politik

Die Über­las­tung von Kom­mu­nen und Ver­wal­tung bei der Auf­nah­me und Unter­brin­gung von Geflüch­te­ten ist in aller Mun­de, dabei ist das Bild kom­ple­xer. Ver­schie­de­ne Stu­di­en und Exper­ti­sen, zum Bei­spiel des Medi­en­diens­tes Inte­gra­ti­on, kom­men zu dem Schluss, dass die Kom­mu­nen sehr unter­schied­lich belas­tet sind und eini­ge es mit krea­ti­ven Lösungs­an­sät­zen schaf­fen, die Her­aus­for­de­run­gen zu meistern.

Vie­le der trotz­dem auf­tau­chen­den Pro­ble­me sind haus­ge­macht und bun­des­po­li­tisch lösbar:

Dass Unter­künf­te über­füllt sind, liegt unter ande­rem an den vie­len recht­li­chen Restrik­tio­nen, wie das star­re bun­des­wei­te Ver­teil­sys­tem für Asyl­su­chen­de, die Wohn­ver­pflich­tung in Unter­künf­ten oder die Wohn­sitz­auf­la­ge für aner­kann­te Flücht­lin­ge. Das führt dazu, dass Geflüch­te­te, selbst wenn sie Wohn­raum außer­halb der Unter­künf­te gefun­den haben, nicht aus­zie­hen dür­fen und damit die Plät­ze in den Unter­künf­ten nicht frei werden.

Dazu kommt auch die bun­des­weit jah­re­lang ver­schlepp­te Digi­ta­li­sie­rung von Ver­wal­tungs­ab­läu­fen, die nicht nur für Geflüch­te­te zu mona­te­lan­gen War­te­zei­ten auf Behör­den­ter­mi­ne führt, son­dern auch zum Ablauf von Auf­ent­halts­pa­pie­ren und somit zum Ver­lust von Wohn­raum oder Arbeits­stel­le, was wie­der­um etli­che wei­te­re Ter­mi­ne bei Behör­den nach sich zieht. PRO ASYL hat bereits zu Beginn des Jah­res kon­struk­ti­ve Vor­schlä­ge in die­sem Zusam­men­hang gemacht, zum Bei­spiel zur Ent­las­tung der Aus­län­der­be­hör­den, die von der Poli­tik jedoch nicht auf­ge­grif­fen wurden.

Auch vie­le Kom­mu­nen äußern klar, dass das Pro­blem nicht die schutz­su­chen­den Men­schen sind, son­dern die feh­len­den Res­sour­cen. Sie füh­len sich zudem von der Bun­des­re­gie­rung im Stich gelas­sen. Die­se Umstän­de kön­nen sich nur durch eine dau­er­haf­te und nach­hal­ti­ge Finan­zie­rung ändern: weg von fes­ten Sum­men und hin zu einer Pro­kopf­pau­scha­le für Inte­gra­ti­on und Unter­brin­gung von Geflüchteten.

Als ver­meint­li­che Pro­blem­lö­sung für über­las­te­te Struk­tu­ren wird von Politiker*innen aller Par­tei­en jedoch im Moment vor allem mehr Abschie­bun­gen und mehr Grenz­schutz prä­sen­tiert, wohl­wis­send, dass die Aner­ken­nungs­quo­te von Asyl­ge­su­chen der­zeit bei über 70% liegt.

„Die Unter­stüt­zung der Kom­mu­nen gelingt nicht, wenn die Poli­tik die Situa­ti­on vor Ort instru­men­ta­li­siert, um noch mehr abzu­schot­ten. Anstatt an Lösungs­vor­schlä­gen zu arbei­ten, wird Stim­mung auf dem Rücken von beson­ders vul­ner­ablen Men­schen gemacht. Sie wer­den ver­un­glimpft, ihre Rech­te wer­den beschnit­ten und sie wer­den als der Ursprung unse­rer gesell­schaft­li­chen Pro­ble­me dar­ge­stellt. Das ist ein­fach nur schä­big“, kri­ti­siert Tareq Alaows.

Arbeits­ver­bo­te streichen 

Unter den in Deutsch­land leben­den Geflüch­te­ten, ist die Grup­pe der Aus­rei­se­pflich­ti­gen die kleins­te. Anstatt die­se immer wei­ter mit Abschie­bungs­of­fen­si­ven und Rechts­ein­schrän­kun­gen zu drang­sa­lie­ren, soll­ten Lösun­gen für eine gelin­gen­des Ankom­men der vie­len Geflüch­te­ten mit Schutz­sta­tus oder sons­ti­ger dau­er­haf­ter Blei­be­per­spek­ti­ve geschaf­fen wer­den. Dazu gehört zum Bei­spiel die groß­flä­chi­ge Umset­zung vor­han­de­ner Blei­be­rechts­re­ge­lun­gen, um so den Men­schen Zugang zum Arbeits­markt zu ver­schaf­fen, mehr Sprach­kur­se und bes­se­re Aner­ken­nung aus­län­di­scher Abschlüs­se. Auch die im Koali­ti­ons­ver­trag ver­spro­che­ne Strei­chung der Arbeits­ver­bo­te für ver­schie­de­ne Grup­pen Asyl­su­chen­der und Gedul­de­ter steht wei­ter­hin aus. Sie ver­hin­dern, dass Men­schen für ihren Lebens­un­ter­halt selbst auf­kom­men, sich in der Gesell­schaft enga­gie­ren und ein von den Sozi­al­be­hör­den unab­hän­gi­ges Leben füh­ren kön­nen. Die kom­plet­te Strei­chung aller Arbeits­ver­bo­te wäre eine enor­me Ent­las­tung für Ver­wal­tung und Behörden.

Alle Presse­mitteilungen