17.05.2023

Als Teil eines Bünd­nis­ses von mehr als 50 Orga­ni­sa­tio­nen for­dert PRO ASYL die Bun­des­re­gie­rung zur Abkehr von ihren Plä­nen zur Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems auf. Mit Blick auf das Tref­fen der EU-Innenminister*innen am 8. Juni 2023 appel­liert das Bünd­nis an Innen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser (SPD), ihrer huma­ni­tä­ren Ver­ant­wor­tung gerecht zu wer­den und ihren eige­nen Koali­ti­ons­ver­trag ernst zu neh­men. Es darf kei­ne Kom­pro­mis­se auf Kos­ten des Flücht­lings­schut­zes geben.

Am 8. und 9. Juni 2023 tref­fen sich die EU-Innenminister*innen im Rat der Euro­päi­schen Uni­on (EU), um sich poli­tisch auf Rege­lun­gen zu eini­gen, die schwer­wie­gen­de Fol­gen haben wür­den: Unter ande­rem wird dis­ku­tiert, ver­pflich­ten­de Grenz­ver­fah­ren ein­zu­füh­ren, das Kon­zept der „siche­ren Dritt­staa­ten“ aus­zu­wei­ten und am Dub­lin-Sys­tem fest­zu­hal­ten. Die unter­zeich­nen­den Orga­ni­sa­tio­nen sind ent­täuscht von der kürz­lich bekannt gewor­de­nen Posi­ti­on der Bun­des­re­gie­rung zu die­sen Vor­ha­ben und hal­ten in einem gemein­sa­men State­ment fest: „Anstatt sich dem Trend der Ent­wer­tung euro­päi­scher Grund- und Men­schen­rech­te und der Ero­si­on rechts­staat­li­cher Grund­sät­ze ent­schie­den ent­ge­gen­zu­stel­len, signa­li­siert die Regie­rung mit ihrer Posi­ti­on die Bereit­schaft, die­sen Weg, um jeden Preis mit­zu­ge­hen. Damit gerät sie in ekla­tan­ten Wider­spruch zu zen­tra­len Ver­spre­chen des Koalitionsvertrags.“

„Unter Druck von rechts­po­pu­lis­ti­schen Regie­run­gen von Rom bis Buda­pest wird in Euro­pa gera­de an einer weit­ge­hen­den Abschaf­fung des Flücht­lings­schut­zes gear­bei­tet. Dar­an darf sich die Bun­des­re­gie­rung nicht betei­li­gen! Es geht um mehr als das Asyl­recht, es geht um die  Grund­la­gen der Euro­päi­schen Uni­on. Der Zugang zum Recht auf Asyl, das Recht auf ein fai­res, recht­staat­li­ches Ver­fah­ren, die Über­prü­fung behörd­li­chen Han­delns durch Gerich­te und vor allem der Schutz der Wür­de der Schutz­su­chen­den ist kei­ne poli­ti­sche Ver­hand­lungs­mas­se, um fau­le Kom­pro­mis­se zu erzie­len “, so Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

Aus­he­be­lung des Flücht­lings­schut­zes durch Prü­fung von „siche­ren Dritt­staa­ten“ in Grenzverfahren

In den geplan­ten ver­pflich­ten­den Grenz­ver­fah­ren wer­den abseh­bar kei­ne Flucht­grün­de der Schutz­su­chen­den geprüft, son­dern nur, in wel­chen außer­eu­ro­päi­schen Dritt­staat die flie­hen­den Men­schen geschickt wer­den kön­nen. Schutz­su­chen­de könn­ten dann in ein außer­eu­ro­päi­sches Land abge­scho­ben wer­den, in dem sie mög­li­cher­wei­se nicht in allen Lan­des­tei­len sicher sind oder in dem sie noch nie waren. Flücht­lings­schutz gemäß der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on müss­te dort eben­falls nicht gewährt wer­den – nach der deut­schen Posi­ti­on soll der Schutz zwar im Wesent­li­chen der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on ent­spre­chen und eine Ver­bin­dung zu dem Land soll bestehen, gemäß ande­rer im Rat dis­ku­tier­ter Vor­schlä­ge lie­gen die Anfor­de­run­gen an den Schutz jedoch weit unter die­sem Niveau. Setzt sich ein sol­cher Vor­schlag durch, wird dies vor­aus­sicht­lich mas­siv die Gefahr völ­ker­rechts­wid­ri­ger Ket­ten­ab­schie­bun­gen in Her­kunfts­län­der wie Syri­en oder Afgha­ni­stan erhö­hen. Dies wird von den Orga­ni­sa­tio­nen im gemein­sa­men State­ment wie folgt kom­men­tiert: „Das bedeu­tet einen Rück­zug aus dem Flücht­lings­schutz in der Euro­päi­schen Uni­on, ver­gleich­bar mit dem deut­schen Asyl­kom­pro­miss vor drei­ßig Jahren.“

In Kom­bi­na­ti­on mit der Anwen­dung des Kon­zepts der “Fik­ti­on der Nicht-Ein­rei­se“ kön­nen die Grenz­ver­fah­ren auch nur durch Inhaf­tie­rung der Schutz­su­chen­den umge­setzt werden.

Zugang zu Asyl darf nicht zur Ver­hand­lungs­mas­se werden

Zudem soll am eigent­lich geschei­ter­ten Dub­lin-Sys­tem – das zur Über­las­tung von Außen­grenz­staa­ten führt – fest­ge­hal­ten und die­ses sogar noch ver­schärft wer­den. Ein wirk­sa­mer Soli­da­ri­täts­me­cha­nis­mus bei dem Asyl­su­chen­den auch von ande­ren Mit­glied­staa­ten als den Außen­grenz­staa­ten auf­ge­nom­men wer­den, wird dage­gen nicht ernst­haft ver­han­delt. Denn aktu­ell soll die „Soli­da­ri­tät“ auch durch Geld­zah­lun­gen oder mate­ri­el­len Leis­tun­gen erbracht wer­den kön­nen – sogar in außer­eu­ro­päi­schen Dritt­staa­ten. Anstatt Flücht­lings­auf­nah­me, wür­de so also die Exter­na­li­sie­rung des euro­päi­schen Grenz­schut­zes als Soli­da­ri­tät ver­bucht werden.

„Die Bun­des­re­gie­rung darf nicht den Feh­ler machen, den Zugang zum Recht auf Asyl gegen einen angeb­li­chen Soli­da­ri­täts­me­cha­nis­mus zwi­schen den Mit­glied­staa­ten zu ver­han­deln. Dass es soweit in Euro­pa gekom­men ist, zeigt, dass eine Reform mit den aktu­el­len poli­ti­schen Mehr­heits­ver­hält­nis­sen abseh­bar nur zu einer mas­si­ven Ver­schlech­te­rung für nach Euro­pa flie­hen­de Men­schen führt. Statt­des­sen soll­ten Bun­des­re­gie­rung und die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on sich für eine Ein­hal­tung der bestehen­den Stan­dards für Asyl­ver­fah­ren und Auf­nah­me von Asyl­su­chen­den sowie für ein Ende der ille­ga­len Push­backs ein­set­zen“, for­dert Wieb­ke Judith abschließend.

Hin­ter­grund zu den Reformvorhaben

Bezüg­lich der Reform­vor­schlä­ge der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on aus dem Herbst 2020 war sich die Bun­des­re­gie­rung zu ent­schei­den­den Punk­ten wie den Grenz­ver­fah­ren, der Anwen­dung von „siche­ren Dritt­staa­ten“ und den künf­ti­gen Zustän­dig­keits­re­geln lan­ge uneins. Seit dem 26. April 2023 gibt es ein Prio­ri­tä­ten­pa­pier der Bun­des­re­gie­rung, laut dem auch ver­pflich­ten­de Grenz­ver­fah­ren in Kauf genom­men wer­den sollen.
Bis zum nächs­ten Rats­tref­fen der EU-Innenminister*innen am 8. Juni 2023 müs­sen sich die Mit­glied­staa­ten auf Ver­hand­lungs­po­si­tio­nen eini­gen, um den Reform­pro­zess bis zur Euro­pa­wahl im Früh­jahr 2024 abschlie­ßen zu können.

Info­ma­te­ri­al

Link zum gemein­sa­men State­ment: https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/Gemeinsames-Statement_GEAS_16.05.2023_final.pdf

PRO ASYL hat in einem Kurz­po­si­ti­ons­pa­pier die wich­tigs­ten men­schen­recht­li­chen roten Lini­en für die Ver­hand­lung benannt: https://www.proasyl.de/material/notwendige-rote-linien-der-bundesregierung-fuer-die-verhandlungen-zum-new-pact-on-migration-and-asylum/

In der Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­rung im Bun­des­tag zur euro­päi­schen Flücht­lings­po­li­tik hat Wieb­ke Judith als rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin für PRO ASYL auf die Gefah­ren der Reform hin­ge­wie­sen: https://www.proasyl.de/material/stellungnahme-zur-oeffentlichen-anhoerung-des-innenausschusses-zur-reform-des-gemeinsamen-europaeischen-asylsystems-geas/

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