Mit dem „Gesetz zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters“ will die Regierung den bundesweiten Datenpool über Menschen ohne deutschen Pass erneut vergrößern und künftig allen möglichen Behörden eine Vielfalt von Informationen automatisiert zur Verfügung stellen – darunter jetzt auch Asylentscheidungen und andere persönliche Dokumente.

Aller­lei per­sön­li­che Daten sam­meln und sie dann in einer zen­tra­len Datei zusam­men­füh­ren, das ist in Deutsch­land eigent­lich noch ein Tabu – sie­he die Dis­kus­si­on über eine zen­tra­le Daten­er­fas­sung von anony­mi­sier­ten Daten zu Coro­na-Infek­tio­nen. Anders ver­hält es sich, wenn die Rede von Men­schen ohne deut­schen Pass ist, ins­be­son­de­re wenn es sich um Geflüch­te­te han­delt. Hier geht der Trend seit vie­len Jah­ren zum Erfas­sen und Sam­meln von immer mehr per­sön­li­chen Daten und Infor­ma­tio­nen. Nun soll das Gesetz über das Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter wie­der ein­mal geän­dert wer­den. Im Mai 2021 soll der Gesetz­ent­wurf „zur Wei­ter­ent­wick­lung des Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ters“ im Bun­des­tag dis­ku­tiert und ver­ab­schie­det wer­den. PRO ASYL ruft die Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten auf, die­sen Gesetz­ent­wurf abzulehnen.

Automatisiertes Verfahren

Bis­lang spei­chern vor allem die loka­len Aus­län­der­be­hör­den die Daten von Men­schen ohne deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit – und zwar (nur) sol­che, die für die eige­ne Auf­ga­ben­er­fül­lung erfor­der­lich sind bzw. sein sol­len. Nur ein Teil die­ser Daten wird auch ins Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter (AZR) ein­ge­tra­gen, das vom Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) betrie­ben wird.

Künf­tig sol­len sämt­li­che Daten­be­stän­de im AZR zen­tral erfasst, gespei­chert und einer Viel­zahl von Behör­den zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Dabei soll auch eine zen­tra­le Doku­men­ten­ab­la­ge geschaf­fen wer­den, in der unter ande­rem Asyl­be­schei­de des BAMF und Ent­schei­dun­gen der Gerich­te, Iden­ti­täts­do­ku­men­te und ande­res digi­ta­li­siert und für eine Viel­zahl von Behör­den zugriffs­be­reit vor­lie­gen. Der Zugriff erfolgt bereits jetzt zuneh­mend auto­ma­ti­siert: Behör­den müs­sen ein kon­kre­tes Doku­ment nicht anfor­dern, son­dern kön­nen sie dank ihrer Zugriffs­rech­te ein­fach abru­fen. „Die Ver­ant­wor­tung für die Zuläs­sig­keit des ein­zel­nen Abrufs trägt die abru­fen­de Stel­le“, heißt es dazu im Gesetz.

Künf­tig sol­len sämt­li­che Daten­be­stän­de im AZR zen­tral erfasst, gespei­chert und einer Viel­zahl von Behör­den zur Ver­fü­gung gestellt werden.

Ziel des aktu­el­len Gesetz­ent­wurfs aus dem Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um ist es, das AZR „zum füh­ren­den und zen­tra­len Aus­län­der­da­tei­sys­tem für alle aus­län­der­recht­li­chen Fach­ver­fah­ren“ zu machen. Die Bun­des­re­gie­rung ver­spricht sich davon, dass die „Ver­wal­tungs­ab­läu­fe ver­bes­sert und medi­en­bruch­frei“ ablau­fen. Die Rech­te der Betrof­fe­nen, vor allem auf Daten­schutz und auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung, spie­len in der Geset­zes­be­grün­dung der Bun­des­re­gie­rung kei­ne Rol­le. Ihre man­geln­de Berück­sich­ti­gung wird seit Jah­ren am AZR kri­ti­siert. Zum aktu­el­len Gesetz­ent­wurf haben unter ande­rem das Netz­werk Daten­schutz­ex­per­ti­se mit dem ehe­ma­li­gen Schles­wig-Hol­stei­ni­schen Daten­schutz­be­auf­trag­ten Thi­lo Wei­chert, der Pari­tä­ti­sche Wohl­fahrts­ver­band und der Cari­tasver­band deut­li­che Kri­tik geäußert.

Ins­be­son­de­re die Spei­che­rung der aus­län­di­schen Per­so­nal­num­mer und von sen­si­blen Tei­len der Asy­l­ak­te öff­net dem Miss­brauch und dem Zugriff aus­län­di­scher (Verfolger-)Staaten die Tür. Über­dies ist eine der­art mit per­sön­li­chen Infor­ma­tio­nen ange­rei­cher­te zen­tra­le „Ausländer“-Datensammlung in Deutsch­land eine in vie­ler Hin­sicht äußerst frag­wür­di­ge und mit Blick auf die deut­sche Geschich­te zutiefst beun­ru­hi­gen­de Angelegenheit.

Von der Anschrift bis zur ausländischen Personalnummer

Der all­ge­mei­ne Daten­satz von allen im AZR gespei­cher­ten Per­so­nen soll um fol­gen­de Merk­ma­le erwei­tert wer­den: Geburts­land, Dok­tor­grad, aus­län­di­sche Per­so­nen­iden­ti­täts­num­mer (CNP-Num­mer), Anschrift im Bun­des­ge­biet und Ein­zugs­da­tum, frü­he­re Anschrif­ten im Bun­des­ge­biet sowie das Aus­zugs­da­tum, natio­na­le Visums­ver­län­ge­rung sowie Anga­ben zu Arbeits-und Aus­bil­dungs­ver­mitt­lung und die Berech­ti­gung oder Ver­pflich­tung zur Teil­nah­me an einem Integrationskurs.

Bereits jetzt ent­hält das AZR per­sön­li­che Daten zu Per­son und Auf­ent­halts­sta­tus. Von Geflüch­te­ten wer­den vie­le wei­te­re Infor­ma­tio­nen gespei­chert, so etwa seit dem Daten­aus­tausch­ver­bes­se­rungs­ge­setz 2016 Fin­ger­ab­drü­cke, Infor­ma­tio­nen über Gesund­heits­un­ter­su­chun­gen und Imp­fun­gen, Schul-und Berufs­bil­dung. Bereits 2018 folg­te das Zwei­te Daten­aus­tausch­ver­bes­se­rungs­ge­setz, mit dem noch mehr Daten gesam­melt und die behörd­li­chen Zugriffs­rech­te erwei­tert wurden.

Aktu­ell neu ist – auch für Geflüch­te­te – die Spei­che­rung der Per­so­nen­iden­ti­täts­num­mer. Sie birgt das Risi­ko, dass die Daten von Flücht­lin­gen ohne Kennt­nis der Betrof­fe­nen in das Her­kunfts­land gelan­gen und die Per­son selbst oder ihre im Her­kunfts­land leben­den Ange­hö­ri­gen in Gefahr brin­gen. Der Pari­tä­ti­sche Wohl­fahrts­ver­band moniert in sei­ner Stel­lung­nah­me zum Gesetz­ent­wurf die Auf­nah­me der Per­so­nen­iden­ti­täts­num­mer als Rechts­bruch: „Gemäß Art. 87 S. 2 Daten­schutz­grund­ver­ord­nung (DSVG) dür­fen sol­che natio­na­len Kenn­zif­fern nur unter Wah­rung geeig­ne­ter Garan­tien für die Rech­te und Frei­hei­ten der betrof­fe­nen Per­son ver­wen­det wer­den. Sol­che Garan­tien sieht der Geset­zes­ent­wurf jedoch gera­de nicht vor, so dass ein Ver­stoß gegen höher­ran­gi­ges Euro­pa­recht vorliegt.“

Speicherung von Asylakten – Daten zum Verfolgerstaat?

Neu ist vor allem die Spei­che­rung von Doku­men­ten: Es bestehe der Bedarf, „den Asyl­be­scheid zen­tral zu spei­chern, da die­ser für auf­ent­halts­recht­li­che Zwe­cke von den Aus­län­der­be­hör­den benö­tigt wird“, heißt es lapi­dar in der Geset­zes­be­grün­dung der Bun­des­re­gie­rung. Kor­rekt ist das nicht: Denn die Aus­län­der­be­hör­den haben zwar mit dem Ergeb­nis der Asyl­prü­fung umzu­ge­hen, also den recht­li­chen Bestim­mun­gen, nach denen das BAMF oder ein Gericht Schutz vor der Abschie­bung gewährt bzw. nicht gewährt. Bereits jetzt wer­den die Aus­län­der­be­hör­den des­halb durch Abschluss­mit­tei­lun­gen über den Aus­gang von Asyl­ver­fah­ren infor­miert. Ein­blick in die inhalt­li­che Begrün­dung und den wei­te­ren Inhalt der Asy­l­ak­te müs­sen die Aus­län­der­be­hör­den des­halb aber nicht erhalten.

Ins­be­son­de­re, wenn das Bun­des­amt eine Schutz­ge­wäh­rung – auch nur teil­wei­se – ablehnt, wer­den im Asyl­be­scheid häu­fig die von den Geflüch­te­ten im Asyl­ver­fah­ren vor­ge­tra­ge­nen Sach­ver­hal­te wie­der­ge­ge­ben: Da wird Her­kunft, Reli­gi­on und Volks­zu­ge­hö­rig­keit genannt. Es wird über die Fami­li­en­ver­hält­nis­se berich­tet, erleb­te Not, Dis­kri­mi­nie­rung und Drang­sa­lie­run­gen wer­den geschil­dert, es wer­den Akzep­tanz-Pro­ble­me auf­grund sexu­el­ler Ori­en­tie­rung oder Iden­ti­tät benannt, phy­si­sche Ver­let­zun­gen oder Trau­ma­ta wer­den ange­deu­tet oder aus­drück­lich beschrie­ben. Nicht zuletzt wird die poli­ti­sche Hal­tung zum Regime deut­lich, denen die Betrof­fe­nen ent­flo­hen sind. Auch in Gerichts­ent­schei­dun­gen wer­den die Erleb­nis­se, die aktu­el­le psy­chi­sche oder gesund­heit­li­che Situa­ti­on und die vor­ge­brach­ten Argu­men­te der Geflüch­te­ten häu­fig noch ein­mal aus­führ­lich referiert.

Es liegt auf der Hand, dass die Preis­ga­be von sehr per­sön­li­chen Infor­ma­tio­nen an eine Viel­zahl von Behör­den, die die­se Infor­ma­tio­nen nicht unmit­tel­bar brau­chen, erheb­lich in die Grund­rech­te der Betrof­fe­nen eingreift.

Es liegt auf der Hand, dass die zen­tra­le, auto­ma­ti­sier­te Preis­ga­be die­ser sehr per­sön­li­chen Infor­ma­tio­nen an eine Viel­zahl von Behör­den, die die­se Infor­ma­tio­nen nicht unmit­tel­bar brau­chen, erheb­lich in das Recht der Betrof­fe­nen auf den Schutz des Pri­vat­le­bens (Art. 8 EMRK, Art. 17 UN-Zivil­pakt) und das Grund­recht auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung (Art. 2 Grund­ge­setz) ein­greift. Im schlimms­ten Fall bringt es sie oder ihre Ange­hö­ri­gen im Her­kunfts­land in gro­ße Gefahr.

Dass die Bun­des­re­gie­rung bezug­neh­mend auf die Stel­lung­nah­me des Bun­des­rats vom 26. März 2021 noch ein­mal prü­fen will, wie Daten des AZR vor allem „tech­nisch-struk­tu­rell“ vor Miss­brauch und dem Zugriff durch Ver­fol­ger­staa­ten geschützt wer­den kön­nen, ändert dar­an nichts. Denn auch inter­ne Zugriffs­pro­to­kol­lie­rung und Schutz gegen Hacker­an­grif­fe wer­den nicht ver­hin­dern, dass Daten des­halb ins Aus­land gelan­gen, weil hie­si­ge Behör­den mit den Her­kunfts­staa­ten in eine poli­tisch gewoll­te und legi­ti­mier­te Koope­ra­ti­on tre­ten. Lau­tet das Ziel die Rück­nah­me von Staats­an­ge­hö­ri­gen, droht der Daten- und Per­sön­lich­keits­schutz der Betrof­fe­nen rest­los unterzugehen.

150.000

Ein­zel­per­so­nen haben Zugriff auf die Daten im AZR

Zugriff für tausende Stellen und abertausende Personen

Die Daten des AZR kön­nen von einer Viel­zahl von Behör­den abge­ru­fen wer­den. Das BMI selbst beschreibt 2020 stolz die Ent­wick­lung: „Heut­zu­ta­ge kön­nen poten­ti­ell mehr als 16.000 öffent­li­che Stel­len und Orga­ni­sa­tio­nen mit mehr als 150.000 Ein­zel­nut­zern auf das Aus­län­der­zent­re­gis­ter als Infor­ma­ti­ons­quel­le zugrei­fen.“ Nach dem vor­lie­gen­den Gesetz­ent­wurf sol­len fol­gen­de Behör­den Zugriff auf BAMF-und asyl- und auf­ent­halts­recht­li­che Gerichts­ent­schei­dun­gen sowie auf Ent­schei­dun­gen zur Aus­rei­se­pflicht erhal­ten: alle rund 600 loka­len Aus­län­der­be­hör­den, die Län­der-Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen, die Bun­des­agen­tur für Arbeit, Sozi­al­äm­ter und Job­cen­ter, die Bun­des­po­li­zei, alle „sons­ti­gen“ Poli­zei­voll­zugs­be­hör­den, Zoll­dienst­stel­len, Staats­an­walt­schaf­ten, das Bun­des­kri­mi­nal­amt, die Lan­des­kri­mi­nal­äm­ter, deut­sche Aus­lands­ver­tre­tun­gen und wei­te­re Stellen.

Wozu all die­se Stel­len die­se Zugriffs­rech­te auf die Doku­men­te benö­ti­gen, bleibt unver­ständ­lich: Über die Ent­schei­dungs­be­hör­de BAMF hin­aus muss sich kei­ne wei­te­re deut­sche Behör­de mit der per­sön­li­chen Geschich­te der Geflüch­te­ten befas­sen oder sich dazu eine Mei­nung machen – es sei denn, es liegt im Inter­es­se der/ des Betrof­fe­nen, diese*r ist infor­miert und hat der Daten­über­tra­gung zuge­stimmt. Das könn­te etwa der Fall sein, wenn dem Bun­des­amt die Infor­ma­ti­on über eine beson­de­re Vul­nerabi­li­tät – etwa einer durch Gewalt stark trau­ma­ti­sier­ten Frau – vor­liegt, die einen beson­de­ren Schutz­an­spruch bei der Unter­brin­gung und Gesund­heits­ver­sor­gung nach sich zie­hen kann. Auch in einem sol­chen Fall wäre es aller­dings ange­mes­sen, die Wei­ter­ga­be von Infor­ma­tio­nen etwa an die Lan­des­auf­nah­me­ein­rich­tung mit der betrof­fe­nen Per­son zu bespre­chen und eine Zustim­mung einzuholen.

Wenn bei­spiels­wei­se die Arbeits­agen­tur in ihrer Stel­lung­nah­me zum Gesetz­ent­wurf dar­auf Bezug nimmt, dass sie im Kon­text des „Rechts­kreis­wech­sels“ von Asyl­bLG zum SGB II die Begrün­dung der Asyl­be­scheids haben muss, muss auch hier ein behörd­li­cher Hin­weis des BAMF zur recht­li­chen Ent­schei­dungs­grund­la­ge genü­gen. Die inhalt­li­che Begrün­dung und Vor­ge­schich­te des Betrof­fe­nen jedoch geht die Arbeits­agen­tur schlicht nichts an. Daten­schutz­recht­lich über­setzt heißt das: Es fehlt an Erfor­der­lich­keit und Zweckbindung.

Welche Szenarien des Missbrauchs sind denkbar?

  • Dass ein Mit­ar­bei­ter des Job­cen­ters, der eine Frau bei der Ein­glie­de­rung unter­stüt­zen soll, die amts­ärzt­li­che Begrün­dung für deren Rei­se­fä­hig­keit liest und des­halb fälsch­li­cher­wei­se annimmt, dass die Arbeit nicht loh­ne, weil ihr ohne­hin die Abschie­bung drohe?
  • Dass eine Mit­ar­bei­te­rin der Aus­län­der­be­hör­de im Asyl­be­scheid die per­sön­li­chen Bezü­ge erforscht, um her­aus­zu­fin­den, ob sich Hin­wei­se für die Infra­ge­stel­lung einer beab­sich­tig­ten Ehe­schlie­ßung fin­den lassen?
  • Dass ein Sach­be­ar­bei­ter des Sozi­al­amts im Asyl­be­scheid eines jun­gen Man­nes nach­schaut, ob man dem Betrof­fe­nen unter­stel­len könn­te, er sei nur wegen der Sozi­al­hil­fe nach Deutsch­land gekom­men, und ihm mit ent­spre­chen­der Begrün­dung die Leis­tun­gen kürzt?
  • Dass Mit­ar­bei­ter der Zen­tra­len Aus­län­der­be­hör­de zutiefst inti­me Infor­ma­tio­nen zum Gesund­heits­zu­stand oder zur sexu­el­len Ori­en­tie­rung einer Betrof­fe­nen der Asy­l­ak­te ent­neh­men und im Rah­men der „Koope­ra­ti­on“ bei der Pass­be­schaf­fung den Behör­den der Her­kunfts­staa­tes mitteilen?
  • Dass rechts­ra­di­ka­le Netz­wer­ke in der Poli­zei Wohn­adres­sen oder gefähr­den­de Infor­ma­tio­nen von Flücht­lin­gen aus bestimm­ten „geg­ne­ri­schen“ poli­ti­schen Kon­tex­ten weiterreichen?

Mit Blick auf die deut­sche Geschich­te ist die Vor­hal­tung einer sol­chen Akten­samm­lung über nicht-deut­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge eine beun­ru­hi­gen­de Vorstellung.

Das mit Doku­men­ten aus­ge­bau­te AZR wird ein Stein­bruch für den indi­vi­du­el­len Miss­brauch der per­sön­li­chen Daten von Geflüch­te­ten sein. Man mag sich gar nicht aus­ma­len, wel­che Poten­zia­le eine sol­che gewal­ti­ge Infor­ma­ti­ons­samm­lung für die Iden­ti­fi­zie­rung, Dis­kri­mi­nie­rung und Aus­son­de­rung von Men­schen birgt, wenn sich die­se Gesell­schaft auto­ri­tär wan­delt und sich die poli­ti­sche Stim­mung gegen sie oder gegen bestimm­te Grup­pen von ihnen rich­tet. Mit Blick auf die deut­sche Geschich­te ist die Vor­hal­tung einer sol­chen Akten­samm­lung über nicht-deut­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge eine beun­ru­hi­gen­de Vorstellung.

AZR-Abfrage verängstigt ägyptischen Flüchtling

Dass die Gefahr des Miss­brauchs sen­si­bler Daten Schutz­su­chen­der real ist, zeigt ein Fall, den das Nach­rich­ten­ma­ga­zin „Fakt“ recher­chier­te. Die Fach­zeit­schrift Daten­schutz-Nach­rich­ten berich­te­te in der Aus­ga­be 3/2019 dar­über: Es geht um einen ägyp­ti­schen Asyl­su­chen­den, der angab, in eine Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen der Mus­lim­bru­der­schaft und der ägyp­ti­schen Regie­rung gera­ten und auf einer Todes­lis­te genannt zu sein. Er pos­te­te über face­book Infor­ma­tio­nen dar­über, wie man über das Fach­kräf­te­ein­wan­de­rungs­ge­setz legal nach Deutsch­land kom­men kön­ne. „Dar­auf­hin erhielt er über Face­book eine Nach­richt, in der ihm mit­ge­teilt wur­de, er sol­le bei Flücht­lin­gen kei­ne fal­sche Hoff­nun­gen aus­lö­sen. Zur Bekräf­ti­gung sei­nes Post und als Nach­weis, dass er ein „Beam­ter“ und damit ein „Big Boss“ sei, sand­te der Absen­der einen AZR-Aus­zug [des Betref­fen­den] mit höchst­per­sön­li­chen Infor­ma­tio­nen. Die­ser bekam es – nicht zu Unrecht – mit der Angst zu tun …“ und erstat­te­te Anzei­ge. Die Staats­an­walt­schaft fand kei­nen Täter, erst auf Recher­che der Jour­na­lis­ten stell­te sich her­aus: Es han­del­te sich um einen Sach­be­ar­bei­ter bei der Bun­des­agen­tur für Arbeit (BA), der die Daten beim AZR abge­ru­fen hatte.

Datenschutz und Grundrechte werden missachtet

Zwar sieht der aktu­el­le AZR-Gesetz­ent­wurf vor, dass BAMF- und asyl­recht­li­che Gerichts-Ent­schei­dun­gen nur gespei­chert wer­den, „soweit beson­de­re gesetz­li­che Ver­ar­bei­tungs­re­ge­lun­gen oder über­wie­gen­de schutz­wür­di­ge Inter­es­sen der betrof­fe­nen Per­son dem nicht ent­ge­gen­ste­hen.“ Wirk­sa­me Mög­lich­kei­ten der Betrof­fe­nen, auf ihre Inter­es­sen selbst auf­zu­pas­sen, die Kon­trol­le über ihre Daten zu behal­ten oder auch nur unauf­ge­for­dert Infor­ma­tio­nen über deren Wei­ter­ga­be zu erhal­ten, sind aller­dings im Gesetz­ent­wurf nicht ersicht­lich. Das Netz­werk Daten­ex­per­ti­se schreibt in sei­ner Stel­lung­nah­me dazu: „Die Rege­lung, dass schutz­wür­di­ge Betrof­fe­nen­in­ter­es­sen zu berück­sich­ti­gen sind, ist pro­ze­du­ral nicht abge­si­chert und unter­liegt einem wei­ten Beur­tei­lungs­spiel­raum des AZR, ohne dass eine Anhö­rung oder Ein­bin­dung der Betrof­fe­nen vor­ge­se­hen, geschwei­ge denn sicher­ge­stellt wäre.“

Daten, aus denen – wie gera­de in Asy­l­ak­ten – „poli­ti­sche Mei­nun­gen, reli­giö­se oder welt­an­schau­li­che Über­zeu­gun­gen oder die Gewerk­schafts­zu­ge­hö­rig­keit her­vor­ge­hen“ sowie „Gesund­heits­da­ten oder Daten zum Sexu­al­le­ben oder der sexu­el­len Ori­en­tie­rung“ dür­fen nach der gel­ten­den Daten­schutz­grund­ver­ord­nung grund­sätz­lich gar nicht ver­ar­bei­tet wer­den (Art. 9 Absatz 1 DSGVO). Sie sind beson­ders geschützt, ihre Ver­ar­bei­tung ist des­halb nur in kon­kre­ten Aus­nah­me­fäl­len unter bestimm­ten Bedin­gun­gen erlaubt. Die Bun­des­re­gie­rung beruft sich auf eine sol­che Aus­nah­me „aus Grün­den eines erheb­li­chen öffent­li­chen Inter­es­ses“ und wenn „ange­mes­se­ne und spe­zi­fi­sche Maß­nah­men zur Wah­rung der Grund­rech­te und Inter­es­sen der betrof­fe­nen Per­son“ sicher­ge­stellt sind (Art. 9 Abs. 2 lit. g DSGVO).

Eine nach­voll­zieh­ba­re Erklä­rung, wor­in das erheb­li­che öffent­li­che Inter­es­se bestehen soll, höchst­per­sön­li­che, sen­si­ble Infor­ma­tio­nen über die poli­ti­sche Hal­tung oder den Gesund­heits­zu­stand eines Geflüch­te­ten einer gan­zen Behör­den­rie­ge zugäng­lich zu machen, bleibt die Bun­des­re­gie­rung schul­dig. Die stren­gen Vor­ga­ben der Daten­schutz­grund­ver­ord­nung sieht auch der Pari­tä­ti­sche Gesamt­ver­band in sei­ner Stel­lung­nah­me „hier nicht annä­hernd erfüllt“. Das Netz­werk Daten­ex­per­ti­se stellt eben­so wie der Cari­tas­ver­band die Rechts­wid­rig­keit fest: „Das erheb­li­che öffent­li­che Inter­es­se ist nicht hin­rei­chend dar­ge­tan; das Feh­len von spe­zi­fi­schen Schutz­maß­nah­men macht die Rege­lung europarechtswidrig.“

Mehr als deut­lich wird hin­ge­gen das Inter­es­se der Poli­tik an einer Nut­zung der Daten im Sin­ne einer inhu­ma­nen und abwei­sen­den Flücht­lings­po­li­tik. Die Bun­des­re­gie­rung schreibt: „Zudem sol­len aus­län­der­recht­li­che Ent­schei­dun­gen, die eine voll­zieh­ba­re Aus­rei­se­pflicht begrün­den, zen­tral gespei­chert wer­den, damit die­se bei­spiels­wei­se im Rah­men der Rück­füh­rung für die Ein­lei­tung auf­ent­halts­be­en­den­der Maß­nah­men von den zustän­di­gen Stel­len abge­ru­fen wer­den kön­nen (… ) Glei­ches gilt für gericht­li­che Ent­schei­dun­gen in aus­län­der- oder asyl­recht­li­chen Verfahren.“

Der AZRG-Entwurf ist rechtlich und politisch unerträglich

Schon im Koali­ti­ons­ver­trag 2018 hat­te die Bun­des­re­gie­rung ange­kün­digt, wor­um es ihr eigent­lich geht: Sie will das Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter, eine der größ­ten Daten­ban­ken der deut­schen Ver­wal­tung, wei­ter „ertüch­ti­gen, um belast­ba­re­re Aus­künf­te erhal­ten zu kön­nen, allen rele­van­ten Behör­den unkom­pli­zier­ten Zugriff zu ermög­li­chen und es auch zur bes­se­ren Steue­rung der Rück­füh­rung und frei­wil­li­gen Aus­rei­se ein­set­zen zu kön­nen“. Mit dem Gesetz­ent­wurf ent­wi­ckelt sich das AZR wei­ter zu einem Manage­ment­tool des Staats, das dem Ziel von Beschleu­ni­gung und Abschie­bung die­nen soll. Mit den auf­ge­nom­me­nen Merk­ma­len wird das Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter zu einer Samm­lung vor allem belas­ten­der Indi­zi­en gemacht.

BAMF-Beschei­de, Gerichts­ent­schei­dun­gen, Stel­lung­nah­men über Gesund­heit oder Rei­se­fä­hig­keit und sons­ti­ge per­sön­li­che Unter­la­gen haben in einem zen­tra­li­sier­ten, zum Abruf frei­ge­ge­be­nen Regis­ter nichts, aber auch gar nichts verloren.

Der AZR-Gesetz­ent­wurf ist, wie die meis­ten flücht­lings­po­li­ti­schen Geset­zes­än­de­run­gen der letz­ten Jah­re, getra­gen vom Geist des Miss­trau­ens und der Abwehr gegen geflüch­te­te Men­schen anstel­le von Respekt gegen­über ihren Men­schen- und Per­sön­lich­keits­rech­ten. Bei der ange­streb­ten Spei­che­rung von hoch­sen­si­blen, per­sön­li­chen Erfah­run­gen und Befind­lich­kei­ten der Betrof­fe­nen han­delt es sich um eine beängs­ti­gen­de Preis­ga­be von per­sön­li­chen Daten derer, die die­sen Staat um Schutz ersucht haben.

Wel­che Infor­ma­ti­ons­flüs­se im Zuge künf­ti­ger „Abschie­bungs­ko­ope­ra­ti­on“ mit den Her­kunfts­staa­ten für legi­tim gehal­ten wer­den, ist dabei noch gar nicht absehbar.

Nicht nur eine erheb­li­che Miss­brauchs­ge­fahr, son­dern schon die mit dem AZR-Gesetz legi­ti­mier­ten Zugriffs­rech­te deut­scher Behör­den ver­let­zen die Betrof­fe­nen in ihren Rech­ten, vor allem im Hin­blick auf die zur zen­tra­len Spei­che­rung ange­dach­ten Doku­men­te. Poli­tisch ist der Gesetz­ent­wurf uner­träg­lich. BAMF-Beschei­de, Gerichts­ent­schei­dun­gen, Stel­lung­nah­men über Gesund­heit oder Rei­se­fä­hig­keit und sons­ti­ge per­sön­li­che Unter­la­gen haben in einem zen­tra­li­sier­ten, zum Abruf frei­ge­ge­be­nen Regis­ter nichts, aber auch gar nichts verloren. 

(Andrea Kothen)


Alle Hintergründe