12.05.2023
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Realität an Europas Grenzen: Abschottung durch hohe Zäune, Stacheldraht und Überwachung. Foto: picture alliance /AA / Artur Widak

Haftlager an den Außengrenzen, neue »sichere Drittstaaten«, Schnellverfahren ohne Prüfung der Fluchtgründe: Die europäischen Abschottungspläne rücken immer näher. Schon am 8. Juni wollen die EU-Innenminister*innen darüber entscheiden. Bei der Ministerpräsidentenkonferenz wurde Zustimmung hierfür signalisiert – ein Bruch des Koalitionsvertrags!

»Wir wol­len die ille­ga­len Zurück­wei­sun­gen und das Leid an den Außen­gren­zen been­den. […] Der Asyl­an­trag von Men­schen, die in der EU ankom­men oder bereits hier sind, muss inhalt­lich geprüft wer­den«, haben SPD, Grü­ne und FDP sich Ende 2021 in ihren Koali­ti­ons­ver­trag geschrie­ben. Andert­halb Jah­re spä­ter scheint von die­ser Posi­ti­on nichts mehr übrig zu sein.

Was bisher geschah

Am 23. Sep­tem­ber 2020 hat­te die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on einen neu­en Auf­schlag für das Gemein­sa­me Euro­päi­sche Asyl­sys­tem (GEAS) vor­ge­stellt, den soge­nann­ten New Pact on Migra­ti­on and Asyl­um.  Zuvor waren die Reform­vor­schlä­ge 2016 wegen der Unei­nig­keit der Mit­glied­staa­ten geschei­tert. Die­se Vor­schlä­ge waren in men­schen­recht­li­cher Hin­sicht jedoch mehr als ent­täu­schend.

Anfang April 2023 hat dann das Euro­päi­sche Par­la­ment mit weni­gen Ände­run­gen den Reform­vor­schlag als sei­ne Ver­hand­lungs­po­si­ti­on ange­nom­men. Nun müs­sen sich die Mit­glied­staa­ten noch auf einen gemein­sa­men Rats­ent­wurf eini­gen, über den am 8. Juni bei dem Tref­fen der EU-Innenminister*innen ent­schie­den wer­den soll. Danach geht es zwi­schen Rat, Par­la­ment und Kom­mis­si­on in den soge­nann­ten Tri­log, um dort die tat­säch­li­chen Geset­ze zu ver­han­deln.  Die EU-Insti­tu­tio­nen ste­hen unter Zeit­druck, da das Geset­zes­vor­ha­ben noch bis Anfang 2024 vor der nächs­ten Euro­pa­wahl durch­ge­bracht wer­den muss – sonst gel­ten die Plä­ne als gescheitert.

Auf Bun­des­ebe­ne befass­te sich der Bun­des­tag im März 2023 mit den Vor­schlä­gen. Es fand eine öffent­li­che Anhö­rung des Innen­aus­schus­ses zur Bera­tung über das GEAS statt, in der PRO ASYL deut­lich vor der Zustim­mung warn­te. Die nun bekannt­ge­wor­de­ne Posi­ti­on der Bun­des­re­gie­rung ist sehr eng an den EU-Vor­schlä­gen, aber weit weg vom Flücht­lings­schutz – und von ihrem eige­nen Koali­ti­ons­ver­trag! Auch in den Beschlüs­sen der Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz vom 10. Mai 2023 wird bekräf­tigt, dass die Bun­des­re­gie­rung sich für Asyl­ver­fah­ren an den Außen­gren­zen ein­set­zen soll.

Wäh­rend es nach wie vor tag­täg­lich zu bru­ta­len und – wie der Koali­ti­ons­ver­trag rich­tig sagt – ille­ga­len Push­backs an den euro­päi­schen Gren­zen kommt und weder die Bun­des­re­gie­rung noch die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on etwas dage­gen unter­neh­men, droht nun die Aus­he­be­lung des Asyl­rechts. Denn im geplan­ten Grenz­ver­fah­ren wird zuerst der Flucht­weg der Schutz­su­chen­den ermit­telt. Wer über einen angeb­lich siche­ren Staat kommt, soll dort­hin zurück.

Selbst wenn die Schutz­su­chen­den also den sys­te­ma­ti­schen, ille­ga­len Push-Backs ent­kom­men, sind sie zukünf­tig also weit davon ent­fernt, dass ihr »Asyl­an­trag in der EU inhalt­lich geprüft wird«, wie es das gel­ten­de EU-Recht und die Ver­ein­ba­rung der Ampel-Regie­rung eigent­lich vor­se­hen. Wer­den die EU-Plä­ne umge­setzt, sieht die Rea­li­tät künf­tig so aus: Flie­hen­de errei­chen einen Staat an der EU-Außen­gren­ze. Sie bit­ten um Asyl. Doch ihr Asyl­an­trag wird nicht inhalt­lich geprüft, statt­des­sen wer­den sie inhaf­tiert. Alles, was sie ab die­sem Moment von Euro­pa noch zu sehen bekom­men, sind Mau­ern, Sta­chel­draht und Sicherheitspersonal.

Die »Fiktion der Nichteinreise« führt zu Haftlagern an den Grenzen

In die­sen Grenz­la­gern gel­ten sie als »nicht ein­ge­reist«, obwohl sie sich zwei­fels­frei auf euro­päi­schem Boden befin­den. Das ist eine alte Idee aus der Ära von Horst See­ho­fer, dem die neue Bun­des­re­gie­rung nun offen­bar ohne­hin auf allen Ebe­nen nach­ei­fert. Abseh­bar führt dies zur Inhaf­tie­rung der asyl­su­chen­den Menschen.

Unter Haft­be­din­gun­gen sind aber fai­re Ver­fah­ren nicht mög­lich: Die Men­schen sind oft noch von der Flucht trau­ma­ti­siert und in einem psy­chi­schen Aus­nah­me­zu­stand, eine Inhaf­tie­rung belas­tet sie zusätz­lich und wirkt wie eine Bestra­fung dafür, einen Asyl­an­trag gestellt zu haben. Unab­hän­gi­ge Unter­stüt­zung für die Schutz­su­chen­den wird kaum mög­lich sein. Schon jetzt ist bei­spiels­wei­se in den »geschlos­se­nen Ein­rich­tun­gen« in Grie­chen­land der Zugang für NGOs nicht gewähr­leis­tet und selbst für Rechtsanwält*innen in der Pra­xis oft ein­ge­schränkt. Unter sol­chen Bedin­gun­gen kommt es abseh­bar zu fal­schen Ableh­nun­gen, was für die Betrof­fe­nen fata­le Kon­se­quen­zen bis hin zur Abschie­bung haben kann.

Die Grenz­ver­fah­ren sol­len zwölf Wochen dau­ern, dar­an anschlie­ßen kann ein neu­es Abschie­bungs­grenz­ver­fah­ren. So kön­nen Men­schen bis zu sechs Mona­te als »nicht ein­ge­reist« an den Außen­gren­zen fest­ge­hal­ten wer­den – wor­an sich auch noch Abschie­bungs­haft anschlie­ßen könn­te. Die­se kann maxi­mal 18 Mona­te dau­ern – womit es bis zu zwei Jah­ren Haft geben könnte.

»Sichere Drittstaaten« im Vordergrund

Grenz­ver­fah­ren sind gera­de nicht wie sug­ge­riert  »schnel­le« Asyl­ver­fah­ren, nur dass sie an der EU-Außen­gren­ze erfol­gen. Viel­mehr wird in die­sen abseh­bar vor allem dar­über ent­schie­den, ob der Asyl­an­trag über­haupt inhalt­lich über­prüft wer­den muss, oder ob die Per­son in einen angeb­lich »siche­ren Dritt­staat« abge­scho­ben wird. Hält die Asyl­be­hör­de eine inhalt­li­che Prü­fung nicht für not­wen­dig, wird der Asyl­an­trag als »unzu­läs­sig« abge­lehnt – egal, ob die Per­son vor Krieg, Fol­ter oder ande­rer Ver­fol­gung flieht.

Men­schen­rech­te blei­ben bei sol­chen Ver­hand­lun­gen auf der Strecke.

Als »sicher« soll ein Dritt­staat laut aktu­ell dis­ku­tier­ten Vor­schlä­gen zwi­schen den Mit­glied­staa­ten schon dann gel­ten, wenn die­ser der EU gegen­über erklärt hat, Flücht­lin­gen eine mini­ma­le Ver­sor­gung zuzu­ge­ste­hen. Die ange­nom­me­ne Sicher­heit muss auch nicht im gan­zen Land gel­ten, Teil­ge­bie­te genü­gen. Und: Die Schutz­su­chen­den müs­sen sich dort nicht ein­mal auf­ge­hal­ten haben. Ein blo­ßer Tran­sit soll für die Zustän­dig­keit des Dritt­staats aus­rei­chen – wenn über­haupt.  Denn es wird also sogar dis­ku­tiert, Men­schen in Staa­ten »zurück«zuschicken, in denen sie über­haupt nie waren. Für die­sen Mecha­nis­mus müs­sen bila­te­ra­le Migra­ti­ons­ab­kom­men mit die­sen angeb­lich »siche­ren« Dritt­staa­ten geschlos­sen wer­den. Men­schen­rech­te blei­ben bei sol­chen Ver­hand­lun­gen auf der Strecke.

Die Regie­rung muss also die Fra­ge beant­wor­ten, ob aus ihrer Sicht zum Bei­spiel die Kur­den­ge­bie­te in Syri­en siche­re Gebie­te sind. Ist der Nord­irak sicher? Sind Ser­bi­en oder Bos­ni­en sicher? Will man fern­ab Euro­pas Staa­ten kau­fen, ana­log zum Vor­ha­ben der bri­ti­schen Regie­rung? Die will Asylbewerber*innen nach Ruan­da abschie­ben. Bis­lang wur­de die­ses Vor­ha­ben von Gerich­ten gestoppt.

Für wen gelten die Grenzverfahren?

Grenz­ver­fah­ren sol­len zukünf­tig ver­pflich­tend sein – was nun auch die Posi­ti­on der Bun­des­re­gie­rung ist. Bis­lang ist es Mit­glied­staa­ten über­las­sen, ob sie über­haupt Grenz­ver­fah­ren durch­füh­ren und wie sie die­se aus­ge­stal­ten. Laut den Vor­schlä­gen sol­len aber jetzt bestimm­te Per­so­nen­grup­pen gene­rell ins Grenz­ver­fah­ren. Dies soll unter ande­rem bei Staats­an­ge­hö­ri­gen der Fall sein, bei denen die EU-wei­te durch­schnitt­li­che Aner­ken­nungs­quo­te eines Her­kunfts­staa­tes unter 20 Pro­zent liegt. Dazu zähl­ten im Jahr 2021 laut EU-Asyl­agen­tur unter ande­rem auch Russ­land, Paki­stan, Nige­ria und Ban­gla­desch. Die­se Ein­stu­fung miss­ach­tet das indi­vi­du­el­le Recht auf Asyl und ver­kennt, dass auch in »Nicht­kriegs­ge­bie­ten« bestimm­te vul­nerable Grup­pen von Ver­fol­gung bedroht sein können

Die Mit­glied­staa­ten kön­nen aber ent­schei­den, das Grenz­ver­fah­ren zudem noch auf wei­te­re Asyl­su­chen­de aus­zu­wei­ten – etwa auf alle Per­so­nen, die über einen angeb­lich »siche­ren Dritt­staat« gekom­men sind. Spä­tes­tens so könn­ten Grenz­ver­fah­ren die künf­ti­gen Stan­dard­ver­fah­ren in der EU werden.

Gegen die Auf­nah­me in das Grenz­ver­fah­ren kann kei­ne Kla­ge ein­ge­reicht wer­den. Dies ist, in jedoch stark ein­ge­schränk­ter Form, nur gegen die fina­le Ent­schei­dung über die Zuläs­sig­keit des Asyl­an­trags möglich.

Anschauliche Blaupause auf den Ägäis-Inseln 

Die soge­nann­ten grie­chi­schen »Clo­sed Con­trol­led Access Cen­tres« auf den Ägä­is-Inseln bie­ten eine anschau­li­che Blau­pau­se für das, was fort­an zu erwar­ten ist. Der men­schen­un­wür­di­ge Aus­nah­me­zu­stand ist dort schon Nor­ma­li­tät gewor­den: Hoch­si­cher­heits­ge­fäng­nis­se ohne Zugang zu adäqua­ter medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung, recht­li­cher Bera­tung und Über­set­zung, dazu unzu­rei­chen­de Ver­sor­gung mit Lebens­mit­teln und Din­gen des täg­li­chen Bedarfs.

Außer­dem wer­den dort bereits jetzt die Anträ­ge von syri­schen, afgha­ni­schen und wei­te­ren Asyl­su­chen­den häu­fig als  »unzu­läs­sig« abge­lehnt, weil die Tür­kei für sie sicher sei – obwohl die­se die defi­nier­ten Kri­te­ri­en eines »siche­ren Dritt­staats« über­haupt nicht erfüllt und Zehn­tau­sen­de nach Afgha­ni­stan und auch immer wie­der sogar nach Syri­en abschiebt. Die Men­schen sind dort also über­haupt nicht »sicher«, ihnen droht schlicht die Ket­ten­ab­schie­bung in die Län­der, aus denen sie vor der Gefahr um ihr Leib und Leben geflo­hen sind. Aus dem indi­rekt auch im Koali­ti­ons­pa­pier gefor­der­ten »no more Mori­as« wer­den zukünf­tig wohl »nur noch Morias«.

Klar ist: Wer­den die­se Plä­ne umge­setzt, ist das der Ver­such, den Weg zum Asyl nun auch recht­lich zu ver­sper­ren. Das ist ein gro­ßer Erfolg für alle rechts­po­pu­lis­ti­schen, natio­na­lis­ti­schen und post­fa­schis­ti­schen Regie­run­gen in der EU, die für ein Euro­pa der Gewalt und der Recht­lo­sig­keit ste­hen. Dies ist ein ekla­tan­ter Wider­spruch zu den men­schen­recht­li­chen Posi­tio­nen, mit denen die Ampel-Regie­rung ange­tre­ten ist.

PRO ASYL ver­sucht, das Schlimms­te zu ver­hin­dern – und braucht dazu Unter­stüt­zung. Mit der Akti­on »Wenn Men­schen­rech­te ver­schwin­den: Wir wol­len ein ande­res Euro­pa!« sol­len Tau­sen­de Brie­fe an die Par­tei­vor­stän­de von SPD, Grü­ne und FDP geschickt werden.

mk,wj