Image
Leben im Lager: Eingezäunt und mit begrenzter Bewegungsfreiheit. Hier im bayerischen Schweinfurt. Foto: picture alliance /dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Vor drei Jahren wurden in Bayern die ersten AnkER-Zentren eröffnet. Doch das Konzept ist gescheitert, die Befürchtungen haben sich bestätigt: AnkER-Zentren sind Orte der Isolation. Ein breites Bündnis fordert mit Blick auf die Bundestagswahl die Abschaffung der Lager und eine neue Art der Aufnahmepolitik.

Vor drei Jah­ren, am 1. August 2018, begann in Bay­ern die Ära der AnkER-Zen­tren. Bay­ern benann­te sie­ben bis­he­ri­ge Tran­sit­zen­tren oder Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen um und orga­ni­sier­te sie neu: das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF), Aus­län­der­be­hör­den, Jus­tiz, Jugend­äm­ter, Arbeits­agen­tur und ande­re Stel­len sol­len zusam­men an ein und dem­sel­ben Ort über die Zukunft der schutz­su­chen­den Men­schen befin­den. Ankunft, Ent­schei­dung und kom­mu­na­le Ver­tei­lung bezie­hungs­wei­se Rück­füh­rung sol­len gebün­delt wer­den, wie es im Koali­ti­ons­ver­trag (Sei­te 107) der Bun­des­re­gie­rung 2017 bis 2021 heißt.

Das Ziel: ein schnel­les Ver­fah­ren und, bei Ableh­nung des Asyl­an­trags, eine schnel­le Abschie­bung. Dass der Fokus hier offen­kun­dig pri­mär auf den Abschie­bun­gen liegt, hat­te PRO ASYL schon vor Eröff­nung der Zen­tren kritisiert.

Bay­ern mach­te den Anfang, Sach­sen und Saar­land folg­ten. Baden-Würt­tem­berg, Bran­den­burg, Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Ham­burg und Schles­wig-Hol­stein betrei­ben inzwi­schen funk­ti­ons­glei­che Einrichtungen.

Bis 2015 galt noch die Regel, dass die Men­schen nicht län­ger als drei Mona­te in einer Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung leben müssen.

Auch die Bun­des­re­gie­rung leis­te­te ihren Teil an der Ver­brei­tung des AnkER-Kon­zep­tes, indem sie im Zuge des »Zwei­ten Hau-Ab-Geset­zes« im Jahr 2019 die Zeit, die Men­schen in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen ver­brin­gen müs­sen, von sechs auf bis zu 18 Mona­te ver­drei­fach­te. Seit dem »Ers­ten Hau-Ab-Gesetz« im Jahr 2017 dür­fen die Bun­des­län­der den maxi­ma­len Zeit­raum in der Erst­auf­nah­me sogar auf 24 Mona­te aus­wei­ten. Zum Ver­gleich: Bis 2015 galt noch die Regel, dass die Men­schen nicht län­ger als drei Mona­te in einer Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung leben müssen.

Isolation, Entrechtung und Ausgrenzung 

Doch wie auch immer die Mas­sen­un­ter­kunft heißt: Die Kri­tik, die in der Flücht­lings­hil­fe täti­ge Orga­ni­sa­tio­nen von Anfang an laut äußer­ten, hat sich lei­der bewahr­hei­tet. AnkER-Zen­tren und funk­ti­ons­glei­che Ein­rich­tun­gen füh­ren zu Iso­la­ti­on, Ent­rech­tung und Aus­gren­zung der dort leben­den Frau­en, Män­ner und Kin­dern. Sie sind Orte der Kon­trol­le, der Stig­ma­ti­sie­rung und der Gewalt. Man­che Asyl­su­chen­de beschrei­ben ihren ers­ten Ein­druck als gefäng­nis­ähn­lich, so wie die­ser Bewoh­ner*: »Das kam mir wie eine Haft­an­stalt vor, als ob ich in einer Zel­le bin.«

Des­halb for­dern PRO ASYL, Dia­ko­nie Deutsch­land, Deut­scher Cari­tas­ver­band, Pari­tä­ti­scher Gesamt­ver­band und Arbei­ter­wohl­fahrt Bun­des­ver­band zusam­men mit bun­des­wei­ten Orga­ni­sa­tio­nen wie Amnes­ty Inter­na­tio­nal, der See­brü­cke und rund 60 wei­te­ren zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen vom nach der Bun­des­tags­wahl neu gewähl­ten Bundestag:

  • AnkER-Zen­tren und ver­gleich­ba­re Ein­rich­tun­gen in Deutsch­land abschaffen
  • die Ver­weil­dau­er der Geflüch­te­ten in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen auf weni­ge Wochen begrenzen
  • eine zukunfts­wei­sen­de Erst­auf­nah­me von Asyl­su­chen­den in Deutsch­land organisieren.

Das Ankommen muss in den Mittelpunkt gestellt werden

Nötig für ein fai­res Asyl­ver­fah­ren sind »Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen, die das Ankom­men der Men­schen in den Mit­tel­punkt stel­len und sie best­mög­lich auf das Asyl­ver­fah­ren und den Auf­ent­halt in Deutsch­land vor­be­rei­ten«, heißt es in dem gemein­sa­men Auf­ruf »Iso­la­ti­on been­den – das Ankom­men för­dern – fai­re Asyl­ver­fah­ren sicher­stel­len Auf­ruf für eine zukunfts­ori­en­tier­te Erst­auf­nah­me von Asyl­su­chen­den in Deutsch­land«. Die aus­führ­li­chen Erläu­te­run­gen zum Auf­ruf zei­gen: Aktu­ell ist das Gegen­teil der Fall.

Kaum Schutz für verletzliche Menschen 

Asyl­su­chen­de flüch­ten viel­fach vor Krieg und Gewalt, sind Opfer von Ver­fol­gung und Ver­trei­bung gewor­den. Sie brau­chen Schutz und Sicher­heit und die Berück­sich­ti­gung ihrer beson­de­ren Lage. EU- und Völ­ker­recht garan­tie­ren vul­ner­ablen Per­so­nen beson­de­re Ver­fah­rens­rech­te und sozi­al­recht­li­che Ansprü­che – die­se wer­den aber in den AnkER-Zen­tren oft nicht beach­tet, denn es fehlt schon an einer sys­te­ma­ti­schen und flä­chen­de­cken­den Iden­ti­fi­zie­rung von Schutzbedürftigen.

Keine Privatsphäre, wenig Schutz vor Gewalt 

Pri­vat­sphä­re gibt es kaum in den Sam­mel­un­ter­künf­ten, wor­un­ter beson­ders Frau­en und Mäd­chen lei­den: Sie kön­nen Gewalt, die sie in ihrer Hei­mat oder auf der Flucht erlit­ten haben, schlech­ter ver­ar­bei­ten. Und sie haben Angst vor Über­grif­fen durch männ­li­che Bewoh­ner, Secu­ri­ty-Per­so­nal oder sons­ti­ge Ange­stell­te – zumal sie in vie­len Unter­künf­ten weder die Duschen noch ihr Zim­mer abschlie­ßen kön­nen. »Das ist sehr gro­ßes Pro­blem: Dort hast du kei­nen Schlüs­sel. Nachts habe ich den Schrank vor die Tür gestellt, weil ich Angst hat­te«, berich­tet eine Asyl­su­chen­de aus einer Unterkunft.

Das wird im Schat­ten­be­richt von PRO ASYL und wei­te­ren Orga­ni­sa­tio­nen zur Umset­zung der Istan­bul-Kon­ven­ti­on vom Juli 2021 doku­men­tiert. Auch die Abschie­bun­gen, die immer wie­der mit Poli­zei­ge­walt durch­ge­setzt wer­den, ver­set­zen die übri­gen Bewohner*innen in Angst und Schrecken.

Keine Selbstbestimmung

Auch ein selbst­be­stimm­tes Leben ist in den Lagern nicht mög­lich. Wegen des Sach­leis­tungs­prin­zips dür­fen die Men­schen nicht selbst ein­kau­fen und kochen, son­dern bekom­men Mahl­zei­ten von einer Groß­kü­che und die Din­ge des täg­li­chen Bedarfs gestellt. Eine Bewoh­ne­rin berich­tet bei­spiels­wei­se: »Zum Bei­spiel hast du nur einen Satz Bett­wä­sche. Du musst war­ten, bis dei­ne Bett­wä­sche tro­cken ist, damit du schla­fen gehen kannst.« Zudem sind Aus­gang und Besu­che beschränkt – und die ers­ten neun Mona­te dür­fen Asyl­su­chen­de nicht arbeiten.

Kaum Schutz vor Corona

In Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen erhal­ten Asyl­su­chen­de de fac­to nur weni­ge medi­zi­ni­sche Leis­tun­gen. Wie pro­ble­ma­tisch die Sam­mel­un­ter­künf­te aus gesund­heit­li­cher Sicht sind, zeig­te sich auch wäh­rend der Pan­de­mie. Groß­un­ter­künf­te wur­den schnell zu »Coro­na-Hot­spots« und zum Teil wochen­lang unter Voll­qua­ran­tä­ne gestellt. Für die Betrof­fe­nen eine extre­me Belas­tung, ver­bun­den mit der Angst, sich mit dem Virus anzu­ste­cken. »Sie haben die­se Zet­tel (mit Hygie­ne­hin­wei­sen) über­all an die Wän­de im Camp gehängt, aber dann gibt es kei­ne Des­in­fek­ti­ons­mit­tel«, sagt ein Bewohner.

»Sie haben die­se Zet­tel (mit Hygie­ne­hin­wei­sen) über­all an die Wän­de im Camp gehängt, aber dann gibt es kei­ne Desinfektionsmittel«

Kein Kontakt zur Gesellschaft 

In den gro­ßen und oft abge­le­ge­nen Ein­rich­tun­gen sind die Asyl­su­chen­den von der Gesell­schaft ana­log und digi­tal iso­liert. Oft gibt es kei­ne erreich­ba­ren Bus­se oder Bah­nen, auch Inter­net oder WLAN gibt es für die Bewohner*innen oft nicht. Das wird auch aus er Schil­de­rung des Bewoh­ners einer Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung deut­lich: »Zur Stadt sind es zu Fuß unge­fähr drei­ßig, vier­zig Minu­ten. Die Mög­lich­keit, oft den Bus zu benut­zen, hat man eigent­lich nicht. Das heißt: Alle lau­fen durch den Wald in die Stadt.«

Eine frü­he Inte­gra­ti­on von Men­schen, die in vie­len Fäl­len lang­fris­tig in Deutsch­land blei­ben, wird so unmög­lich gemacht. Ein Bewoh­ner schil­dert sei­ne Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung: »Es ist im Nichts. Ich habe hier kei­nen Zugang zu irgendetwas.«

Kaum Zugang zu rechtlicher Hilfe

Die Iso­la­ti­on erschwert auch den Kon­takt zu Ehren­amt­li­chen, Bera­tungs­stel­len und Rechtsanwält*innen. Das zeigt auch die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen dem Münch­ner Flücht­lings­rat und der Regie­rung von Ober­bay­ern vor Gericht dar­über, ob der Info­bus des Flücht­lings­rats auf das Gelän­de der AnkER-Zen­tren fah­ren und dort Bera­tung anbie­ten darf. Die Fra­ge, ob es ein Zugangs­recht zu AnkER-Zen­tren und ande­ren Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen gibt, wur­de am 28. Juli 2021 vor dem Baye­ri­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­hof ver­han­delt und hat bun­des­wei­te Bedeu­tung. Denn unab­hän­gi­ge recht­li­che Unter­stüt­zung sowie Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung sind essen­ti­ell für ein fai­res Asyl­ver­fah­ren. Unter den gege­ben Umstän­den in vie­len AnkER-Zen­tren kön­nen die Men­schen ihre Rech­te häu­fig nur ein­ge­schränkt wahrnehmen.

77

Tage dau­ert das Asyl­ver­fah­ren in AnkER-Zen­tren im Schnitt

82

Tage sind es ansons­ten durchschnittlich.

Keine deutliche Beschleunigung – Ziel verfehlt

Neben die­sen viel­fäl­ti­gen Pro­ble­men haben die AnkER-Zen­tren noch nicht ein­mal das erklär­te Ziel der Beschleu­ni­gung von Asyl­ver­fah­ren erreicht. Das ist im Bericht des BAMF selbst (Eva­lua­ti­ons­be­richt des BAMF vom 24.Februar 2021) nach­zu­le­sen: So dau­ert ein Asyl­ver­fah­ren in AnkER-Ein­rich­tun­gen durch­schnitt­lich 77 statt der sonst durch­schnitt­li­chen 82 Tagen, obwohl die Asyl­ver­fah­ren aus AnkER-Ein­rich­tun­gen prio­ri­siert wer­den. Eine sub­stan­ti­el­le Beschleu­ni­gung ist das nicht.

Was für eine gute Aufnahme notwendig ist

PRO ASYL und die wei­te­ren rund 65 unter­zeich­nen­den Orga­ni­sa­tio­nen for­dern statt­des­sen Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen, die das Ankom­men der Men­schen in den Mit­tel­punkt stel­len und sie gut auf das Asyl­ver­fah­ren vor­be­rei­ten. Dazu gehört ganz konkret:

  • Sys­te­ma­ti­sche Iden­ti­fi­zie­rung von vul­ner­ablen Per­so­nen und ihrer Bedar­fe, Umset­zung der dar­aus fol­gen­den Garan­tien im Asyl­ver­fah­ren und sozi­al­recht­li­chen Ansprüche;
  • Gewähr­leis­tung eines fai­ren Asyl­ver­fah­rens; Sicher­stel­lung einer erreich­ba­ren, behör­den­un­ab­hän­gi­gen Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung für die gesam­te Ver­fah­rens­dau­er; Zugang von ehren­amt­li­chen Initia­ti­ven und haupt­amt­li­chen Beratenden;
  • Kran­ken­be­hand­lung im Rah­men der not­wen­di­gen medi­zi­ni­schen Leis­tun­gen der gesetz­li­chen Krankenkassen;
  • Kos­ten­freie Bereit­stel­lung von Dolmetscherleistungen;
  • Mög­lichst woh­nungs­ähn­li­che Unter­brin­gung unter Wah­rung der Pri­vat­sphä­re; effek­ti­ven Schutz vor Gewalt; Mög­lich­kei­ten zur eigen­stän­di­gen Orga­ni­sa­ti­on des All­tags und Abschaf­fung des Arbeitsverbotes;
  • Sozi­al­leis­tun­gen, die das gesetz­lich fest­ge­leg­te Exis­tenz­mi­ni­mum zur Füh­rung eines men­schen­wür­di­gen Lebens nicht unter­schrei­ten, ohne ent­mün­di­gen­de Ele­men­te wie die Sachleistungsversorgung;
  • Berück­sich­ti­gung der Wün­sche der Betrof­fe­nen bezüg­lich des künf­ti­gen Wohn­orts; Unter­stüt­zung bei der Suche nach spe­zi­fi­schen Bera­tungs­stel­len und Behand­lungs­ein­rich­tun­gen an einem künf­ti­gen Wohnort;
  • Inte­gra­ti­on und sozia­le Teil­ha­be von Anfang an.

(wr/wj)

*Die Zitate von Bewohnerinnen und Bewohnern stammen aus einer Studie von Dr. Nikolai Huke/Uni Kiel, die PRO ASYL in der Broschüre »Bedeutet unser Leben nichts? Erfahrungen von Asylsuchenden in Flüchtlingsunterkünften während der Corona-Pandemie in Deutschland« in Kürze veröffentlichen wird.