Image
Fotomontage.

Die Rufe nach mehr Abschiebungen werden in der Politik immer lauter. Sie werden als »die Lösung« für überlastete Verwaltungsstrukturen dargestellt. Nun fordert das Bundesinnenministerium in einem Gesetzesentwurf weitere Verschärfungen der ohnehin brutalen Abschiebepraxis. Wir geben einen Überblick über bestehende und geplante Regelungen.

Realitätsferne Debatte um Ausreisepflichtige 

Der Dis­kurs um mehr Abschie­bun­gen und die vor­ge­se­he­nen Ver­schär­fun­gen im aktu­el­len Gesetz­ent­wurf des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des Innern und für Hei­mat (BMI) sind ange­sichts der aktu­ell gerin­gen Zahl an Aus­rei­se­pflich­ti­gen sowie der bereits bestehen­den har­ten Abschie­be­pra­xis nicht nur völ­lig los­ge­löst von der Rea­li­tät. Sie gehen auch an den tat­säch­li­chen Bedar­fen von Kom­mu­nen und Asylbewerber*innen und somit an ech­ten Lösun­gen für bestehen­de Her­aus­for­de­run­gen vorbei.

Aktu­ell wer­den mehr als 70 Pro­zent der Schutz­su­chen­den, die in Deutsch­land ein Asyl­ver­fah­ren durch­lau­fen, aner­kannt. Für sie braucht es lang­fris­tig durch­dach­te poli­ti­sche Stra­te­gien, damit der Zugang zu bezahl­ba­ren Woh­nun­gen sowie zu Sprach­kur­sen und zum Arbeits­markt sicher­ge­stellt wird. Das wären Lösun­gen, die den tat­säch­li­chen Pro­ble­men gerecht wer­den, die den Men­schen ein wür­di­ges und selbst­be­stimm­tes Leben ermög­li­chen und die den rech­ten Paro­len lang­fris­tig den Wind aus den Segeln nehmen.

Politiker*innen kon­zen­trie­ren sich der­weil aber lie­ber auf eine viel klei­ne­re Grup­pe der Geflüch­te­ten, näm­lich auf die Aus­rei­se­pflich­ti­gen. Dabei bestä­ti­gen die aktu­el­len Zah­len die lang­jäh­ri­gen For­de­run­gen von PRO ASYL: Nicht die stän­dig her­bei­ge­ru­fe­ne Abschie­bungs­of­fen­si­ve, son­dern nur eine kon­se­quen­te und groß­zü­gi­ge Anwen­dung des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts und ande­rer Blei­be­rechts­re­ge­lun­gen sen­ken die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen und Gedul­de­ten wirk­sam. So ist die Zahl der Gedul­de­ten inner­halb der ers­ten acht Mona­te die­ses Jah­res um 15 Pro­zent gesun­ken, was ins­be­son­de­re auf rund 37.000 erteil­te Auf­ent­halts­ti­tel nach dem Chan­cen-Auf­ent­halts­recht zurück­zu­füh­ren ist.

Weitere Verschärfungen unverhältnismäßig

Ledig­lich neun Pro­zent der aktu­ell rund 211.000 gedul­de­ten Men­schen wird vor­ge­wor­fen, ihre eige­ne Abschie­bung zu ver­hin­dern, sie erhal­ten die »Dul­dung light«. Vie­le der rest­li­chen 91 Pro­zent kön­nen aus durch das Gesetz geschütz­ten Grün­den, wie zum Bei­spiel aus huma­ni­tä­ren Grün­den, nicht abge­scho­ben werden.

Zudem ist die Anzahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen nach Jah­ren des Anstiegs erst­mals um 25.000 (8,3 Pro­zent) gesun­ken. Von ihnen sind bereits in der ers­ten Hälf­te des Jah­res 2023 knapp 8.000 Men­schen abge­scho­ben wor­den. Die­se Zahl lie­ße sich selbst durch die restrik­tivs­ten neu­en Abschie­be­re­geln ledig­lich um weni­ge Hun­der­te Abschie­bun­gen erhö­hen, was somit in kei­nem Ver­hält­nis zu den damit ein­her­ge­hen­den Rechts­ver­let­zun­gen steht.

Die Zahl der Abschie­bun­genl lie­ße sich selbst durch die restrik­tivs­ten neu­en Abschie­be­re­geln ledig­lich um weni­ge Hun­dert erhö­hen, was somit in kei­nem Ver­hält­nis zu den damit ein­her­ge­hen­den Rechts­ver­let­zun­gen steht.

Nach­dem die Coro­na­pan­de­mie zunächst zu einem klei­nen Ein­bruch der Abschie­bun­gen führ­te, wur­den im Jahr 2022 bereits wie­der 13.000 Per­so­nen abge­scho­ben. Im ers­ten Halb­jahr 2023 gab es mit 7.861 Abschie­bun­gen wie­der­um einen Anstieg von 26,8 Pro­zent ver­gli­chen mit dem glei­chen Zeit­raum des Vorjahres.

Rechtlich fragwürdige Gesetzesvorschläge

In einem Antrag der CDU/CSU kopiert die Frak­ti­on rechts­po­pu­lis­ti­sche For­de­run­gen. Das Minis­te­ri­um von Nan­cy Fae­ser (SPD) greift die­se auf und leg­te am 12.10.2023 einen Geset­zes­ent­wurf zur »Ver­bes­se­rung der Rück­füh­rung« vor. Dar­in sind zum The­ma Abschie­bun­gen vie­le recht­lich frag­wür­di­ge Ansät­ze ent­hal­ten, dar­un­ter mas­si­ve Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen, neue Straf­tat­be­stän­de für Geflüch­te­te und erwei­ter­te Kom­pe­ten­zen der Poli­zei. PRO ASYL hat die geplan­ten Ver­schär­fun­gen genau­er in den Blick genommen:

Geplante Verschärfungen

Zur Bekämp­fung der orga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät in Deutsch­land schlägt Innen­mi­nis­te­rin Fae­ser vor, dass es künf­tig mög­lich sein soll, Per­so­nen aus­zu­wei­sen, wenn »Tat­sa­chen die Schluss­fol­ge­rung recht­fer­ti­gen«, dass sie Ange­hö­ri­ge einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung im Sin­ne des § 129 StGB sind oder waren. Bis­lang bedurf­te es für eine Aus­wei­sung einer straf­recht­li­chen Ver­ur­tei­lung. Soll­te der Gesetz­ent­wurf beschlos­sen wer­den, ist eine rechts­kräf­ti­ge Ver­ur­tei­lung nicht mehr für die Aus­wei­sung nötig. Dann sol­len die auf Tat­sa­chen gestütz­ten Schluss­fol­ge­run­gen aus­rei­chen, um fest­zu­stel­len, dass eine Per­son einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung ange­hört. Es ist zu befürch­ten, dass die Tat­sa­chen, die für eine Aus­wei­sung sei­tens der Aus­län­der­be­hör­den ange­führt wer­den, gänz­lich unzu­rei­chend sein wer­den. So reicht bei­spiels­wei­se im Fal­le des Ver­dachts von soge­nann­ter Clan-Kri­mi­na­li­tät die glei­che Fami­li­en­zu­ge­hö­rig­keit, Hei­rat, ein ähn­li­cher Fami­li­en­na­me oder der­sel­be Wohn­ort für eine Aus­wei­sung aus. Die­se Rege­lung schränkt die Rech­te der betrof­fe­nen Per­so­nen erheb­lich ein und bringt sie in eine Situa­ti­on der Pau­schal­ver­däch­ti­gung. Dar­über hin­aus wird bereits der Begriff der »Clan-Kri­mi­na­li­tät« nur mit dif­fu­sen Merk­ma­len wie »Eth­nie« oder »eth­nisch abge­schot­te­te Sub­kul­tu­ren« bzw. neu­er­dings dem »gemein­sa­men Abstam­mungs­ver­ständ­nis« beschrie­ben. Dies basiert auf Annah­men über »kul­tu­rel­le Eigen­hei­ten« bzw. einem »Gefah­ren­po­ten­zi­al bestimm­ter Eth­ni­en«, die in kei­ner Wei­se wis­sen­schaft­lich fun­diert sind.

Aus­rei­se­pflich­ti­ge sol­len nach dem Ent­wurf häu­fi­ger in Abschie­be­haft genom­men wer­den kön­nen, etwa bereits bei dem Vor­wurf der Ver­let­zung von Mitwirkungspflichten.

Nach der bis­he­ri­gen Rechts­la­ge konn­te die Siche­rungs­haft nur ange­ord­net wer­den, wenn die betrof­fe­ne Per­son nach einer soge­nann­ten uner­laub­ten Ein­rei­se aus­rei­se­pflich­tig wird, Flucht­ge­fahr besteht oder gegen die betrof­fe­ne Per­son eine Abschie­bungs­an­ord­nung auf­grund einer beson­de­ren Gefahr für die Sicher­heit der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land aus­ge­spro­chen wur­de. Die­se Rege­lung soll nun auf Fäl­le erwei­tert wer­den, in denen Per­so­nen ent­ge­gen einem Ein­rei­se- und Auf­ent­halts­ver­bot in das Bun­des­ge­biet ein­ge­reist sind oder nach einer erlaub­ten Ein­rei­se aus­rei­se­pflich­tig wer­den. Damit könn­te fak­tisch jede Per­son, die aus­rei­se­pflich­tig ist, in Siche­rungs­haft genom­men wer­den. Dies ist in Anbe­tracht des mas­si­ven Ein­grif­fes in die Pri­vat­sphä­re eines Men­schen und des Instru­men­tes der Inhaf­tie­rung als letz­tes Mit­tel im Straf­recht völ­lig unverhältnismäßig.

Zudem soll die mög­li­che Dau­er der Siche­rungs­haft von drei auf sechs Mona­te ver­län­gert wer­den, wenn die Aus­rei­se der Per­so­nen nicht durch­führ­bar ist – etwa weil der Ziel­staat sich wei­gert, die aus­rei­se­pflich­ti­ge Per­son wie­der auf­zu­neh­men. Bis­her wird die Siche­rungs­haft dann been­det, wenn der Ziel­staat die Auf­nah­me in den nächs­ten drei Mona­ten ver­wei­gert. Künf­tig soll die Siche­rungs­haft auch dann mög­lich sein, wenn die Ver­wei­ge­rung des Ziel­staa­tes in den nächs­ten sechs Mona­ten ver­mut­lich weg­fal­len wird. Somit wird auch hier das Mit­tel der Haft unver­hält­nis­mä­ßig ange­wen­det und die Dau­er der Inhaf­tie­rung der geflüch­te­ten Per­son von der Staats­po­li­tik des Her­kunfts­lan­des abhän­gig gemacht.

Die Mit­wir­kungs­haft kann bereits dann ange­ord­net wer­den, wenn die Behör­den der Ansicht sind, dass eine geflüch­te­te Per­son einer Auf­for­de­rung zur Klä­rung ihrer Iden­ti­tät nicht nach­kommt. Völ­lig außer Acht gelas­sen wird die Tat­sa­che, dass vie­le geflüch­te­te Per­so­nen sehr inten­siv ver­su­chen, ihre Iden­ti­tät zu klä­ren, jedoch trotz Bemü­hun­gen kei­nen Pass von ihrer Bot­schaft erhal­ten kön­nen. Die­se Bemü­hun­gen soll­ten von den Behör­den aner­kannt wer­den, anstatt den Men­schen feh­len­de Mit­wir­kung zu unter­stel­len. Wür­den zudem die Aus­län­der­be­hör­den statt des Natio­nal­pas­ses auch ande­re Iden­ti­täts­nach­wei­se aner­ken­nen oder die Iden­ti­tät per eides­statt­li­cher Ver­si­che­rung final klä­ren las­sen, gäbe es den Tat­be­stand der »unge­klär­ten Iden­ti­tät« so gut wie nicht mehr.

Das BMI will damit erneut die Rah­men­be­din­gun­gen der Abschie­bung ver­schär­fen und lässt dabei jeg­li­che Ver­hält­nis­mä­ßig­keit ver­mis­sen. Jetzt schon sind die Hälf­te der sich in Abschie­be­haft befind­li­chen Men­schen zu lan­ge oder zu Unrecht in Haft.

Neben der Abschie­be­haft sieht das Auf­ent­halts­ge­setz die Mög­lich­keit der Aus­deh­nung des Aus­rei­se­ge­wahr­sams zur Erleich­te­rung der Durch­füh­rung der Abschie­bung vor. Gegen das bereits bestehen­de Aus­rei­se­ge­wahr­sam wur­den seit sei­ner Ein­füh­rung im Jah­re 2015 ver­fas­sungs- und euro­pa­recht­li­che Beden­ken geäu­ßert, weil es gänz­lich unab­hän­gig vom Vor­lie­gen eines Haft­grun­des die fak­ti­sche Inhaf­tie­rung ermög­licht. Den­noch soll es nun auch noch aus­ge­dehnt werden.

Bis­lang durf­ten Per­so­nen maxi­mal zehn Tage in Gewahr­sam genom­men wer­den, und das auch nur in Grenz­nä­he. Nun soll die­se fak­ti­sche Inhaf­tie­rung bis zu 28 Tage und in jeder geeig­ne­ten Ein­rich­tung im Bun­des­ge­biet mög­lich gemacht wer­den. Die fast drei­fa­che Ver­län­ge­rung wird damit begrün­det, dass die bis­he­ri­gen zehn Tage in der Pra­xis häu­fig zu kurz sei­en, um die Abschie­bung durch­zu­füh­ren. Es sind aber recht­li­che und tat­säch­li­che Grün­de, die den meis­ten Abschie­bun­gen ent­ge­gen­ste­hen, nicht feh­len­de Zeit. Es darf nicht ver­ges­sen wer­den, dass es hier um Men­schen geht, die ohne Straf­tat­be­stand de fac­to inhaf­tiert werden.

Nach den Vor­schlä­gen des BMI soll ein Asyl­ver­fah­ren nicht mehr der Abschie­bungs­haft ent­ge­gen­ste­hen. Bis­her wird durch die Stel­lung eines Asyl­ge­suchs die Haft been­det und den Asyl­su­chen­den zur Durch­füh­rung des Asyl­ver­fah­rens eine Auf­ent­halts­ge­stat­tung erteilt. Die­se Neu­re­ge­lung stellt eine ekla­tan­te Erwei­te­rung der Mög­lich­keit von Abschie­be­haft dar, lässt jeg­li­che Ver­hält­nis­mä­ßig­keit ver­mis­sen, ver­däch­tigt pau­schal jede*n Asylantragstellende*n eines soge­nann­ten Miss­brauchs des Asyl­ver­fah­rens und ist im Kern auch euro­pa­rechts­wid­rig. Nach den euro­pa­recht­li­chen Bestim­mun­gen kann die Haft von Asyl­su­chen­den nur bei Erfor­der­nis­sen von Grün­den der natio­na­len Sicher­heit oder öffent­li­chen Ord­nung ange­ord­net wer­den. Die­se Neu­re­ge­lung bedient sich dem Nar­ra­tiv, dass Geflüch­te­te eine Gefahr für die öffent­li­che Ord­nung und Sicher­heit sei­en, auch wenn sie zuläs­si­ge Grün­de eines Asyl­ge­suchs haben.

Das Befug­nis für Poli­zei und Behör­den, eine Woh­nung zu betre­ten um Per­so­nen zur Abschie­bung abzu­ho­len, soll erwei­tert wer­den. Bis­her darf die Woh­nung, bzw. der Wohn­raum in der Gemein­schafts­un­ter­kunft, nur betre­ten wer­den, »wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, aus denen zu schlie­ßen ist, dass sich die Per­son dort befin­det«. Bereits die­ses Ein­drin­gen in Pri­vat­räu­me, für das sonst nach Arti­kel 13 Grund­ge­setz eigent­lich zwin­gend ein Durch­su­chungs­be­schluss not­wen­dig ist, ist recht­lich stark umstrit­ten. Da Abschie­bungs­ver­su­che oft nachts statt­fin­den, wer­den so sämt­li­che Bewohner*innen aus dem Schlaf geris­sen, was nach­weis­lich hoch­gra­dig trau­ma­ti­sie­rend und ver­ängs­ti­gend wirkt, ins­be­son­de­re für Kinder.

Zudem soll der Begriff der »Woh­nung« nach der Neu­re­ge­lung auch Woh­nun­gen in der Gemein­schafts­un­ter­kunft und sons­ti­ge Räum­lich­kei­ten von Drit­ten umfas­sen. Dadurch wird die Befug­nis der Behör­den auf das »Betre­ten« jeg­li­cher Räum­lich­kei­ten erwei­tert, wenn die­se anneh­men, dass sich die gesuch­te Per­son dort befin­den könn­te. Die­se Neu­re­ge­lung ohne Erfor­der­nis einer rich­ter­li­chen Geneh­mi­gung stellt einen ekla­tan­ten Grund­rechts­ein­griff gegen die Unver­letz­lich­keit der Woh­nung dar.

Bis­her war eine ein­wö­chi­ge Ankün­di­gung der Abschie­bung nötig, wenn sich die aus­rei­se­pflich­ti­ge Per­son auf rich­ter­li­che Anord­nung in Haft oder sons­ti­gem öffent­li­chen Gewahr­sam befun­den hat. Künf­tig soll die­se Ankün­di­gung (mit Aus­nah­me von Fami­li­en mit Kin­dern unter 12 Jah­ren) weg­fal­len; als Begrün­dung wird die Ent­las­tung der Aus­län­der­be­hör­den genannt. Die enor­me psy­chi­sche Belas­tung der geflüch­te­ten Men­schen, die in all­täg­li­cher Angst vor der Abschie­bung leben müs­sen, wird voll­kom­men außer Acht gelassen.

Bereits jetzt bestehende Rechtsverletzungen bei Abschiebungen

Abschie­bun­gen wer­den von der Poli­tik häu­fig nicht nur als Lösung für sozia­le Pro­ble­me und über­las­te­te Struk­tu­ren dar­ge­stellt, son­dern auch als not­wen­di­ges Instru­ment für die Erhal­tung der Rechts­staat­lich­keit. Jedoch fin­den inner­halb die­ses Fel­des etli­che Rechts­ver­let­zun­gen statt, die nun mit dem neu­en Geset­zes­ent­wurf noch aus­ge­wei­tet wer­den könnten.

Dabei wider­spre­chen nicht nur die neu­en Ideen von BMI und CDU/CSU in Tei­len dem deut­schen Grund­ge­setz oder auch der euro­päi­schen Recht­spre­chung. Sie rei­hen sich zudem in die bestehen­de häu­fig rechts­wid­ri­ge Abschie­be­pra­xis ein. Die­se lässt sich schwer im Nach­gang juris­tisch auf­ar­bei­ten, weil der Kon­takt zu Abge­scho­be­nen schwer auf­recht­zu­er­hal­ten ist, den Betrof­fe­nen finan­zi­el­le Mit­tel für Gerichts­pro­zes­se feh­len und Zeug*innen nicht aus­sa­gen wol­len oder kön­nen. Eini­ge Rechts­ver­let­zun­gen fin­den jedoch kei­nes­wegs im Ver­bor­ge­nen statt und wer­den von Poli­tik und Poli­zei auch nicht abge­strit­ten. Im Fol­gen­den haben wir eini­ge die­ser bestehen­den Rechts­ver­let­zun­gen ausgeführt:

  1. Abholungen zur Nachtzeit

Auch wenn im § 58 (7) des Auf­ent­halts­ge­set­zes klar gere­gelt ist, dass Abho­lun­gen zum Zwe­cke der Abschie­bung zur Nacht­zeit nur in Aus­nah­me­fäl­len erlaubt sind, und die Orga­ni­sa­ti­on einer Abschie­bung kei­nen Recht­fer­ti­gungs­grund dar­stellt, Erwach­se­ne und Kin­der aus dem Schlaf zu rei­ßen und abzu­schie­ben, ist dies jedoch die Regel. Meist wer­den dafür orga­ni­sa­to­ri­sche Grün­de ange­ge­ben, die eigent­lich gesetz­lich aus­ge­schlos­sen sind: Flug­zei­ten, vor­ge­schrie­be­ne Ankom­mens­zei­ten in den Her­kunfts­län­dern oder der Trans­port der Men­schen zu Flug­hä­fen in ande­ren Bundesländern.

  1. Betreten statt Durchsuchen

Art. 13 des Grund­ge­set­zes schützt die pri­va­te Woh­nung vor will­kür­li­chem Ein­drin­gen pri­va­ter Drit­ter, aber auch staat­li­cher Behör­den. Des­halb ist im Grund­ge­setz fest­ge­legt, dass nur im Aus­nah­me­fall die Woh­nung ohne rich­ter­li­chen Beschluss durch­sucht wer­den kann.

Für Geflüch­te­te gilt jedoch das Grund­ge­setz an die­ser Stel­le nicht. Für ein poli­zei­li­ches Ein­drin­gen in die pri­va­te Woh­nung zum Zwe­cke der Abschie­bung wur­de im Jahr 2019 im zwei­ten Gesetz zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht die Defi­ni­ti­on des »Betre­tens« statt des »Durch­su­chens« ein­ge­führt. So kön­nen die Vor­ga­ben des Grund­ge­set­zes umgan­gen wer­den. Dies soll nun noch auf Neben­wohn­räu­me in Unter­künf­ten aus­ge­wei­tet wer­den, wie oben beschrieben.

  1. Handyabnahme

Das Grund­ge­setz regelt in Arti­kel 19 Absatz 5 den Zugang eines jeden Men­schen zu effek­ti­vem Rechts­schutz. Bei Abschie­bun­gen wird jedoch regel­mä­ßig zu Beginn der Abschie­be­maß­nah­me das Mobil­te­le­fon ent­zo­gen. So kön­nen Anwält*innen nicht infor­miert wer­den. In der Regel ist ein Anruf erst am Flug­ha­fen kurz vor der Abschie­bung vom Tele­fon der Bun­des­po­li­zei erlaubt. Dazu wird jedoch der Erfah­rung von PRO ASYL nach oft nicht das Mobil­te­le­fon her­aus­ge­ge­ben, so dass die Betrof­fe­nen meist die Num­mer der Anwält*innen nicht zur Hand haben. Somit ist der Zugang zum effek­ti­ven Rechts­schutz versperrt.

  1. Familientrennungen

Arti­kel 6 des Grund­ge­set­zes regelt den Schutz der Fami­li­en­ein­heit. Trotz­dem kommt es bei Abschie­bun­gen regel­mä­ßig zu Fami­li­en­tren­nun­gen, wenn nicht die gesam­te Fami­lie ange­trof­fen wird. Zwar erlaubt die natio­na­le Gesetz­ge­bung unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen die Fami­li­en­tren­nung bei Abschie­be­maß­nah­men. Dies ist jedoch beson­ders für Kin­der hoch­gra­dig trau­ma­tisch und wider­spricht der Prä­mis­se des Kin­des­wohls (§ 1 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII). Die Natio­na­le Stel­le zur Ver­hü­tung von Fol­ter stellt in ihrem  Jah­res­be­richt 2022 außer­dem fest, dass trotz ein­dring­li­cher Emp­feh­lun­gen fest­ge­stellt wor­den sei, dass die Ach­tung des Kin­des­wohls bei Abschie­bungs­maß­nah­men regel­mä­ßig nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt wird. Zudem kommt es laut Augenzeug*innenberichten auch im Bei­sein von Kin­dern immer wie­der zu Poli­zei­ge­walt gegen die Eltern, was psy­chisch für die Kin­der sehr ver­stö­rend ist.

  1. Keine Anerkennung fachärztlicher Atteste 

Die Anfor­de­run­gen an fach­ärzt­li­che Attes­te, die eine Abschie­bung ver­hin­dern und einen huma­ni­tä­ren Dul­dungs­grund gene­rie­ren, sind sehr hoch. Und auch trotz detail­lier­ter fach­ärzt­li­cher Attes­te, kommt es nicht sel­ten vor, dass bei den Abschie­be­maß­nah­men ein*e Amtsärzt*in zuge­gen ist, die die abzu­schie­ben­de Per­son »gesund schreibt«. Meist han­delt es sich um Allgemeinmediziner*innen, deren Attes­te bereits vor­lie­gen­de fach­ärzt­li­che Gut­ach­ten außer Kraft set­zen kön­nen. So wer­den immer wie­der Men­schen, die von medi­zi­ni­schem Fach­per­so­nal eigent­lich als psy­chisch und phy­sisch schwer krank erkannt wur­den, trotz­dem abge­scho­ben – auch in Län­der, in denen kei­ne aus­rei­chen­de medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung gewähr­leis­tet ist.

Einzelfälle: Was Abschiebungen jenseits der Zahlen bedeuten

Der kur­di­sche Fami­li­en­va­ter Can* lebt seit sei­ner Jugend seit 25 Jah­ren in Deutsch­land. Er ist mit einer Deut­schen ver­hei­ra­tet, bei­de haben vier gemein­sa­me Kin­der, das jüngs­te ist erst vier Jah­re alt. Can hat eine schwe­re Geschich­te hin­ter sich: Sei­ne Fami­lie war in der Tür­kei poli­tisch aktiv, der Vater wur­de inhaf­tiert und gefol­tert, der Onkel von Sol­da­ten ermor­det. Auf­grund die­ser Erleb­nis­se und der Angst vor einer Abschie­bung ist Can mas­siv trau­ma­ti­siert und hat mehr­mals ver­sucht, sich das Leben zu nehmen.

Can ist Mit­glied in einem kur­di­schen Kul­tur­ver­ein. Weil er an Demons­tra­tio­nen teil­ge­nom­men hat­te, wur­de ihm unter­stellt, Mit­glied der Arbei­ter­par­tei Kur­di­stans (PKK) zu sein. Obwohl dazu nie ein Ver­fah­ren gegen ihn ein­ge­lei­tet wur­de, wur­de sei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nicht mehr ver­län­gert. Bei einer Ver­kehrs­kon­trol­le pas­sier­te es dann: Can wur­de inhaf­tiert und es droh­te eine men­schen­recht­lich äußerst kri­ti­sche Abschie­bung in die Türkei.

Die Fami­lie kon­tak­tier­te das Bera­tungs­team von PRO ASYL. Der durch die Rechts­hil­fe von PRO ASYL unter­stütz­te Anwalt schaff­te es, die Ent­las­sung aus der Abschie­be­haft zu bewir­ken, weil das Gericht die Tren­nung der Kin­der vom Vater als kin­des­wohl­ge­fähr­dend und euro­pa­rechts­wid­rig ansah. Nun kämpft Can mit Unter­stüt­zung von PRO ASYL wei­ter dar­um, bei sei­ner Fami­lie in Deutsch­land blei­ben zu können.

Mah­dia* floh zusam­men mit ihren Eltern und min­der­jäh­ri­gen Geschwis­tern vor dem Tali­ban-Regime in Afgha­ni­stan. Der Flucht­weg führ­te sie über Polen, wo sie ihre Fin­ger­ab­drü­cke abge­ben muss­ten. Nach der Asyl­an­trag­stel­lung in Deutsch­land wur­de ein Dub­lin-Ver­fah­ren ein­ge­lei­tet: Die Fami­lie soll­te nach Polen abge­scho­ben wer­den. Die Eltern waren auf­grund der trau­ma­ti­schen Erleb­nis­se auf der Flucht in psych­ia­tri­scher sta­tio­nä­rer Behand­lung – trotz­dem wur­de die 19-jäh­ri­ge Mah­dia im Win­ter letz­ten Jah­res von ihrer Fami­lie getrennt nach Polen abgeschoben.

Dort wur­de sie dem pol­ni­schen Grenz­schutz über­ge­ben und erhielt einen Zet­tel mit einer Adres­se. Ohne wei­te­re Infor­ma­tio­nen, Ver­pfle­gung oder Geld soll­te sie einem Lager an der Gren­ze zur Ukrai­ne gehen. Die Rei­se unweit des Kriegs­ge­sche­hens dau­er­te tage­lang. Im Lager ange­kom­men, war sie vor Über­grif­fen nicht geschützt und wur­de beläs­tigt. Nur zur Essens­aus­ga­be trau­te sie sich aus dem Zim­mer. Mah­dia ist inzwi­schen eigen­mäch­tig wie­der zu ihrer Fami­lie nach Deutsch­land zurück­ge­kehrt, die Tren­nung hielt sie nicht aus. Sie lei­det seit­dem unter star­ken Ängs­ten, die Abschie­bung hat sie noch nicht verarbeitet.

Andrés* aus Vene­zue­la stell­te 2020 einen Asyl­an­trag in Deutsch­land, der abge­lehnt wur­de. Da er durch trau­ma­ti­sie­ren­de Erleb­nis­se in Vene­zue­la an einer post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung und Panik­at­ta­cken litt – Sym­pto­me, die durch die dro­hen­de Abschie­bung noch ver­stärkt wur­den – war er in psy­cho­the­ra­peu­ti­scher Behand­lung. Ein Antrag auf ein Abschie­bungs­ver­bot wur­de den­noch abge­lehnt, da das Attest nicht als aus­rei­chend erach­tet wur­de. Trotz­dem schaff­te es Andrés, sich in Deutsch­land etwas auf­zu­bau­en: Er hat­te einen unbe­fris­te­ten Ver­trag als Mit­ar­bei­ter in einem Waren­la­ger und ver­lob­te sich. Doch die­se Sta­bi­li­tät wur­de ihm entrissen.

Andrés war gera­de bei sei­ner Ver­lob­ten zu Besuch, als an einem Sonn­tag im Som­mer 2023 die Poli­zei klin­gel­te, um Andrés für die Abschie­bung abzu­ho­len. Aus Angst über­gab er sich meh­re­re Male, trotz­dem wur­de er mit­ge­nom­men. Nach­dem ein vom Anwalt gestell­ter Eil­an­trag abge­lehnt wur­de, brach­ten die Beam­ten Andrés zum Flug­ha­fen. Auf der Fahrt muss­te er sich mehr­fach über­ge­ben, erbrach sogar Blut. Sei­ne Bit­te nach einem Arzt wur­de abge­lehnt. Die Abschie­bung wur­de durchgeführt.

Nun ist Andrés in Vene­zue­la, sei­ne dort drin­gend not­wen­di­ge medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung zahlt sei­ne Ver­lob­te. Er hofft dar­auf, wie­der zu ihr und ihrer klei­nen Toch­ter, die regel­mä­ßig nach ihm fragt, zurück­keh­ren zu kön­nen, doch vor die­ser Wie­der­ver­ei­ni­gung ste­hen noch vie­le recht­li­che Hindernisse.

*Namen geändert

(je / nb / ta)