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Nach SPIEGEL-Enthüllungen über illegale Pushbacks Frontex-Chef Leggeri tritt zurück

Er vertuschte die illegalen Pushbacks der griechischen Küstenwache in der Ägäis, jetzt hat er den politischen Rückhalt verloren. Nach SPIEGEL-Informationen stellt der Chef der EU-Grenzschutzagentur Fabrice Leggeri sein Amt zur Verfügung.
Behördenchef Fabrice Leggeri

Behördenchef Fabrice Leggeri

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FRANCOIS LENOIR / REUTERS

Am Ende war es einsam geworden um Fabrice Leggeri. Schon am Donnerstag ahnte der Frontex-Chef, dass er im Verwaltungsrat der EU-Grenzschutzagentur, der über seine Abberufung entscheidet, kaum noch Unterstützer hatte. Am Abend zog Leggeri dann nach SPIEGEL-Informationen die Konsequenzen und kündigte intern seinen Rücktritt an.

In dem Brief an den Vorsitzenden des Verwaltungsrates, der dem SPIEGEL vorliegt, bittet Leggeri darum, sein Rücktrittsgesuch anzunehmen und bedankt sich für die »unschätzbare Erfahrung«, die er bei Frontex gesammelt habe. Am Freitag kam der Verwaltungsrat zusammen, um über Leggeris Bitte zu beraten. Nach SPIEGEL-Informationen akzeptierte das Gremium seinen Rücktritt.

Es ist ein erzwungener Rückzug, Leggeri klammerte sich lange an seinen Posten. Vor anderthalb Jahren hatte der SPIEGEL gemeinsam mit Lighthouse Reports und weiteren Medienpartnern enthüllt, dass seine Agentur in illegale Pushbacks in der Ägäis verstrickt ist. Seitdem war er ein Behördenchef auf Abruf.

Die griechische Küstenwache schleppt in der Ägäis Flüchtlinge auf Rettungsflößen aufs Meer hinaus und setzt sie einfach aus. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge hat sie so drastisch reduziert. Die Aktionen sind illegal, sie verstoßen gegen griechische, europäische und internationale Regeln. Leggeri hatte offenbar nie ein Problem damit.

Seine Beamten halfen bei den Pushbacks, so zeigten es die Recherchen von SPIEGEL und Lighthouse Reports, sie orteten und stoppten die Flüchtlingsboote, den Rest überließen sie den griechischen Beamten. Wenn Frontex-Flugzeuge doch mal einen Pushback aus der Luft aufzeichneten, kümmerte Leggeri sich auch persönlich. Mindestens einen klaren Pushback, so zeigten es die Recherchen, vertuschte er, indem er ihn zu den Akten legte.

Afghanische Geflüchtete werden nach einem Pushback von türkischen Grenzschützern gerettet

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Foto: Emrah Gurel / AP

Der SPIEGEL publizierte schließlich die Bilder, die Leggeri geheim halten wollte. Dem Europaparlament verschwieg er den Vorfall auf Nachfrage. Im Nachhinein war der Auftritt in Brüssel wohl seine letzte Chance, sich von den Verbrechen der griechischen Küstenwache zu distanzieren. Mit klaren Worten hätte er dazu beitragen können, dass Schutzsuchende an den EU-Außengrenzen angemessen behandelt werden. Leggeri aber tat so, als wisse er von nichts.

EU-Antibetrugsjäger ermittelten monatelang

Dabei blieb er auch noch, als die EU-Antibetrugsjäger von OLAF sein Büro und das seines Vertrauten Thibauld de la Haye Jousselin durchsuchten und gegen die beiden ermittelten. »Wir haben viele Beweise«, sagte der OLAF-Chef dem EU-Parlament hinter verschlossenen Türen. Seine Ermittler fertigten einen mehr als 200-seitigen Bericht an. Frontex versuchte wochenlang, die Veröffentlichung des Berichtes zu verhindern, ihn nicht einmal dem Europaparlament zu zeigen, obwohl die Abgeordneten die Agentur eigentlich kontrollieren sollen.

Am Mittwochabend, keine zwei Tage vor Leggeris Rücktrittsangebot, wies der SPIEGEL gemeinsam mit Lighthouse Reports und anderen Medienpartnern dann erstmals nach, was ohnehin viele ahnten: Frontex hat in der Ägäis bei Pushbacks von hunderten, wahrscheinlich sogar tausenden Flüchtlingen geholfen. Die Rechtsbrüche werden fein säuberlich in einer Datenbank notiert, wenn auch unter dem falschen, verharmlosenden Begriff »prevention of departure«. Auf Anfrage dementierte Frontex die Rechtsbrüche da bereits nicht mehr. Stattdessen wies die Agentur darauf hin, dass die Agentur in der Ägäis dem Kommando der Griechen unterstehe.

Fabrice Leggeri hat die Agentur seit 2015 geführt. In seiner Amtszeit entwickelte sie sich von einer kleinen EU-Behörde, die kaum jemand kannte, zu einer riesigen Organisation, in der manche den Vorläufer einer europäischen Armee sehen. Schon bald sollen tausende Frontex-Beamten mit eigener Uniform und Waffen an den Grenzen patrouillieren. Das Budget der Agentur wuchs immer weiter, inzwischen liegt es bei mehr als 750 Millionen Euro im Jahr.

Leggeri setzte seine Macht vor allem dafür ein, um die Flüchtlingszahlen immer weiter zu reduzieren. In den letzten Monaten arbeitete Leggeri darauf hin, Pushbacks zu normalisieren. Immer wieder sprach er von einer »hybriden Bedrohung«, um sie indirekt zu rechtfertigen. Unter ihm nahm das Ansehen der Grenzschutzagentur jeden Tag weiteren Schaden. Darüber ist er nun gestürzt.

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