1. Startseite
  2. Politik

„Heftige parlamentatische Debatten“ drohen: Familiennachzug bleibt Lippenbekenntnis der Ampel

KommentareDrucken

Geflüchtete protestieren gegen die Trennung von Familien durch Hindernisse für den Familiennachzug.
Geflüchtete protestieren gegen die Trennung von Familien durch Hindernisse für den Familiennachzug. © Imago

Die von der Ampel-Koalition zugesagten Verbesserungen beim Familiennachzug sind fraglich geworden. Vor allem die FDP bremst.

Berlin - Im Koalitionsvertrag von 2021 hat die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ auch für die Migrations- und Flüchtlingspolitik sehr viel versprochen, darunter deutliche Verbesserungen beim Familiennachzug. „Wir werden“, hieß es wörtlich, „die Familienzusammenführung zu subsidiär Geschützten mit den GFK-Flüchtlingen gleichstellen. Wir werden beim berechtigten Elternnachzug zu unbegleiteten Minderjährigen die minderjährigen Geschwister nicht zurücklassen. (…) Wir wollen die Visavergabe beschleunigen und verstärkt digitalisieren.“ Doch umgesetzt hat die Ampel-Koalition davon fast nichts.

Das im Sommer 2022 noch für den letzten Herbst angekündigte Migrationspaket II, das neben dem Familiennachzug auch Themen wie konsequentere Rückführungen und Lockerungen von Arbeitsverboten regeln sollte, verzögert sich immer mehr. Grund sind laut Beobachter:innen „erbitterte Grabenkämpfe“ zwischen den Ampelfraktionen.

Die FDP trete bei Erleichterungen auf die Bremse, und auch die Sozialdemokraten zeigten „wenig Ambition“, heißt es inzwischen bei den Grünen. Erst einmal sollen jetzt die erleichterte Fachkräfteeinwanderung und dann die Reform des Einbürgerungsrechts durchs Parlament kommen. Auch bei letzterem Vorhaben mauert die FDP.

Migrationspolitik der Ampel: Arbeit an Reform des Familiennachzugs vertagt

Die Arbeiten an der Reform des Familiennachzugs dürften damit frühestens nach der Sommerpause beginnen, schätzen Abgeordnete der Ampelfraktionen – unklar ist, ob die Verabschiedung noch in diesem Jahr klappt. Helge Lindh, Berichterstatter der SPD-Fraktion für weite Teile des Pakets, sagte der FR, er rechne „mit heftigen parlamentarischen Debatten“.

Der über die Jahre immer schwieriger gewordene Familiennachzug betrifft Tausende Menschen in Deutschland. Darunter vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge, etwa aus Syrien und Afghanistan, die nur einen „subsidiären Schutzstatus“ bekommen und deshalb seit 2016 weniger Rechte etwa als Asylberechtigte haben – obwohl beide Gruppen nicht in ihre Herkunftsländer zurückkönnen.

Für die subsidiär Geschützten gilt: Die Kernfamilie (Ehepartner und minderjährige Kinder) darf nur nachkommen, wenn genügend Wohnraum und Einkommen da ist oder humanitäre Gründe vorliegen, etwa Krankheiten. Unbegleitete Minderjährige dürfen auf jeden Fall die Eltern, aber nicht die Geschwister nachholen.

Familiennachzug: Ob Ampel liefern wird, ist ungewiss

Insgesamt gilt seit 2018 eine monatliche Obergrenze von 1000 für den Nachzug zu Menschen mit subsidiärem Schutzstatus. Sie wurde wegen der hohen Hürden bisher nie erreicht. Asylberechtigte und sogenannte GFK-Flüchtlinge (sie sind anerkannt nach der Genfer Flüchtlingskonvention) haben dagegen einen Rechtsanspruch auf Familiennachzug. Aber auch bei ihnen dauert es laut Pro Asyl oft Jahre, bis die Verwandten nachkommen, wegen langer Warte- und Bearbeitungszeiten vor allem bei den Auslandsvertretungen.

Ob die Ampel die zugesagten Verbesserungen tatsächlich liefern wird, ist inzwischen unsicher geworden. Die FDP steht nach verlorenen Landtagswahlen unter Profilierungsdruck, Innenministerin Nancy Faeser sucht, als SPD-Spitzenkandidatin für die hessischen Landtagswahlen, derzeit eher mit Projekten zur Zuzugsbegrenzung (wie der Verlagerung von Asylverfahren an die EU-Außengrenzen) die Öffentlichkeit. Ihr Ministerium gab auf Anfrage keine Auskunft, wie eine mögliche Familiennachzugsregelung aussehen könnte.

Stephan Thomae, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, verwies gegenüber der FR auf die mehr als eine Million ukrainischen Flüchtlinge im Land, „darunter sehr viele Minderjährige, die in die Schule gehen und untergebracht werden müssen. Da können wir nicht einfach sagen, wir holen jetzt noch weitere Familien nach.“ Erst einmal brauche es ein „Gesamtkonzept“. Die Bindekraft der Zusagen im Koalitionsvertrag zog er angesichts der „angespannten Lage“ in Zweifel: „Wir müssen uns als Koalition schon fragen, ob sich die Bewertung der Vorhaben nicht geändert hat.“

Familiennachzug als humanitäre Verpflichtung Deutschlands?

Offen widerspricht dem der SPD-Mann Lindh. Die Gleichstellung subsidiär Geschützter beim Nachzug sei „unbedingt notwendig“, er gehe davon aus, „dass wir das so machen“. Deutschland habe „die rechtliche und humanitäre Verpflichtung, die Familie zu schützen. Deshalb dürfen wir den Familiennachzug nicht als Hebel einsetzen, um Zuwanderung zu begrenzen.“

Auch die aktuellen Hürden beim Geschwisternachzug zu minderjährigen Geflüchteten sehe er als „unzumutbar, denn sie bescheren den Familien oft jahrelange Trennung“, sagte Lindh der FR.

Dennoch: Grüne Migrationspolitiker:innen sehen sich ausgebremst. Sie sprechen bitter von einem „Grundsound“ bei SPD und FDP, „dass jede einreisende Person eine zu viel ist“. Dabei sei man sich bei Ampel-internen Gesprächen im letzten Sommer in manchem weitestgehend einig gewesen – auch beim Familiennachzug für subsidiär Geschützte.

Auch beim Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt vor wenigen Tagen blieben viele offene Fragen zu der Situation von Geflüchteten ungeklärt.

Auch interessant

Kommentare