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Immer wieder erfahren Geflüchtete Gewalt durch kroatische Einsatzkräfte. Foto: Europäische Union 2015

Die kroatischen Einsatzkräfte sind für ihr brutales Vorgehen gegen Flüchtlinge bekannt. Ernsthafte Konsequenzen hatten bisher jedoch weder die Einsatzkräfte noch politisch Verantwortliche zu befürchten. PRO ASYL unterstützt Geflüchtete in zwei Fällen bei ihren Klagen in Kroatien. Es geht um Gerechtigkeit und ein Ende der Straflosigkeit.

Ob in Grie­chen­land, Polen oder Kroa­ti­en: An den Außen­gren­zen der EU wer­den die Men­schen­rech­te vie­ler­orts mit Füßen getre­ten. Teil­wei­se kommt es dabei zu einer Bru­ta­li­tät, die einem den Atem raubt. Das zeigt der Fall von Farouk* aus Afgha­ni­stan, der von PRO ASYL unter­stützt wird. Er wur­de von der kroa­ti­schen Poli­zei so schlimm ange­schos­sen, dass er seit­dem im Roll­stuhl sitzt und quer­schnitts­ge­lähmt ist.

Im Novem­ber 2019 wur­de Farouk, der mit einer Grup­pe Schutz­su­chen­der auf dem Weg durch Kroa­ti­en war, auf dem Berg Tuh­obić von der Poli­zei auf­ge­grif­fen. Die­se feu­er­te meh­re­re Schüs­se ab und traf den damals 21-jäh­ri­gen Farouk in den Rücken. Die Poli­zei befahl dar­auf­hin dem Rest der Grup­pe, den Schwer­ver­letz­ten auf eine Stra­ße zu tra­gen und ihn dort lie­gen zu las­sen. Erst drei­ßig Minu­ten spä­ter wur­de Farouk zu einer Poli­zei­sta­ti­on gefah­ren und einem Kran­ken­wa­gen übergeben.

»Nie­mand ist gekom­men, wenn ich geru­fen habe, egal ob ich auf Toi­let­te muss­te oder Durst hat­te. Ich glau­be es wäre ihnen lie­ber gewe­sen, wenn ich gestor­ben wäre.«

Farouk* aus Afgha­ni­stan, der von PRO ASYL unter­stützt wird

Im Kran­ken­haus ange­kom­men, befand er sich in kri­ti­schem Zustand und muss­te not­ope­riert wer­den. Medi­zi­ni­sche Unter­la­gen bele­gen die Schwe­re der Ver­let­zun­gen. Als sich sein Gesund­heits­zu­stand sta­bi­li­sier­te, wur­de er in ein Pfle­ge­heim ver­legt, in dem er jedoch weder ange­mes­se­ne medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung erhielt, noch eine Über­set­zung für den Far­si-spre­chen­den jun­gen Mann orga­ni­siert wur­de. Er litt unter star­ken Schmer­zen, bekam aber kei­ne Schmerz­mit­tel. Nur sein Anwalt unter­stütz­te ihn und besorg­te ihm bei­spiels­wei­se auch den Roll­stuhl, in dem Farouk seit dem Vor­fall sitzt. Sei­nen Schil­de­run­gen zufol­ge müs­sen in dem Pfle­ge­heim kata­stro­pha­le Zustän­de geherrscht haben. »Nie­mand ist gekom­men, wenn ich geru­fen habe, egal ob ich auf Toi­let­te muss­te oder Durst hat­te. Ich glau­be es wäre ihnen lie­ber gewe­sen, wenn ich gestor­ben wäre«, erzählt er.

Trotz sei­nes kör­per­li­chen Zustands gelang Farouk schließ­lich über Slo­we­ni­en und Ita­li­en die Wei­ter­flucht nach Deutsch­land. Die letz­te Etap­pe trat er auf­grund sei­ner Ver­let­zun­gen im Taxi an, was nur mög­lich war, weil sei­ne Fami­lie in Afgha­ni­stan und Freun­de Geld schick­ten und er sich bei ihnen schwer verschuldete.

Kroatien behauptet, es sei ein »Unfall« gewesen

Sowohl die kroa­ti­sche Poli­zei als auch der Innen­mi­nis­ter behaup­te­ten nach dem Ein­satz, es habe sich um einen Unfall gehan­delt. Die Polizist*innen hät­ten ledig­lich Warn­schüs­se in die Luft abge­feu­ert. Gegen die­se Dar­stel­lung spre­chen sowohl Zeu­gen­aus­sa­gen aus der Grup­pe als auch die Tat­sa­che, dass Farouk in den Rücken geschos­sen wur­de. Doch die Ermitt­lungs­be­hör­den in dem Fall folg­ten der Argu­men­ta­ti­ons­li­nie der Poli­zei und des Innenministeriums.

»Ich kann das ein­fach nicht ver­ges­sen. Ich weiß nicht, ob ich das jemals ver­ar­bei­ten kann.«

Farouk* aus Afgha­ni­stan, der von PRO ASYL unter­stützt wird

Obwohl die Ver­let­zun­gen Farouk sein Leben lang beein­träch­ti­gen wer­den, soll er kei­ne Ent­schä­di­gung erhal­ten, und nie­mand wird zur Rechen­schaft gezo­gen. »Ich kann das ein­fach nicht ver­ges­sen. Ich weiß nicht, ob ich das jemals ver­ar­bei­ten kann. Mein gan­zes Leben hat sich des­halb ver­än­dert«, sagt er. PRO ASYL unter­stützt den jun­gen Mann in sei­nem Asyl­ver­fah­ren in Deutsch­land und enga­giert sich für die juris­ti­sche Auf­ar­bei­tung  des Poli­zei­ein­sat­zes auf kroa­ti­scher Seite.

Aus dem Gerichtssaal zurück nach Bosnien

Farouk ist kein Ein­zel­fall: Im Okto­ber 2020 über­quer­te eine Grup­pe von fünf afgha­ni­schen Schutz­su­chen­den die bos­nisch-kroa­ti­sche Gren­ze. Auf kroa­ti­scher Sei­te in der Nähe von Slun­jči­ca wur­den sie von der Poli­zei fest­ge­nom­men. Vier von ihnen wur­den gemein­sam für zwei Tage inhaf­tiert, der Fünf­te wur­de durch die Poli­zei von der Grup­pe getrennt und als der ver­meint­li­che »Schlep­per« ange­klagt. Die vier ande­ren Grup­pen­mit­glie­der wur­den vor dem Gericht in Kar­l­o­vac als Zeu­gen gela­den, um gegen ihn aus­sa­gen. Sie stell­ten jedoch klar, dass »der Jun­ge«, wie sie ihn nen­nen, kein Schlep­per sei. Der Ange­klag­te blieb trotz der ent­las­ten­den Aus­sa­gen wei­ter in Haft.

Nach dem Gerichts­ter­min wur­de die Vie­rer-Grup­pe von der Poli­zei abge­führt und weg­ge­fah­ren. Die Poli­zei über­gab sie an zehn mas­kier­te Per­so­nen in schwar­zen Uni­for­men. Die­se raub­ten die Schutz­su­chen­den aus, schlu­gen und miss­han­del­ten sie auf bru­tals­te Art und Wei­se. Einer von ihnen erzählt: »Ich soll­te mich bis auf die Unter­wä­sche aus­zie­hen und mich auf den Boden legen. Sie haben zuvor mei­ne Sachen ver­brannt, eine Socke haben sie mir in den Mund gelegt. Zwei haben mei­ne Arme fest­ge­hal­ten, zwei mei­ne Bei­ne. Vier ande­re haben dann auf mich ein­ge­schla­gen.« Anschlie­ßend wur­den die Schutz­su­chen­den fast nackt und teils schwer ver­letzt auf die bos­ni­sche Sei­te der Gren­ze gebracht.

So wie der Grup­pe der fünf Afgha­nen erging es in die­ser Zeit vie­len Schutz­su­chen­den: Wie der Guar­di­an mit Ver­weis auf den Däni­schen Flücht­lings­rat berich­tet, haben im Okto­ber 2020 mehr als 75 Per­so­nen inner­halb einer Woche unab­hän­gig von­ein­an­der von unmensch­li­cher Behand­lung, bru­ta­len Schlä­gen und sogar sexu­el­lem Miss­brauch berichtet.

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Im ver­gan­ge­nen Jahr doku­men­tier­ten Journalist*innen ver­schie­de­ner euro­päi­scher Medi­en die bru­ta­len Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen der kroa­ti­schen Behör­den. Video: Light­house Reports

PRO ASYL fordert: Kroatische Staatsanwaltschaft soll Ermittlungen einleiten 

Das kroa­ti­sche Cent­re for Peace Stu­dies reich­te bereits im Dezem­ber 2020 einen Antrag auf straf­recht­li­che Ermitt­lun­gen beim zustän­di­gen Staats­an­walt ein. Im Juli 2021 gelang es, den Kon­takt zwi­schen den fünf Betrof­fe­nen, die es inzwi­schen nach Deutsch­land geschafft haben, und der Anwäl­tin vom Cent­re for Peace Stu­dies wie­der­her­zu­stel­len. Nach­dem die Staats­an­walt­schaft in Kroa­ti­en ein­ein­halb Jah­re untä­tig geblie­ben war, wird sie nun mit aktua­li­sier­ten Voll­mach­ten und Kon­takt­adres­sen erneut auf­ge­for­dert, Ermitt­lun­gen ein­zu­lei­ten und die Grup­pe zu befra­gen. PRO ASYL unter­stützt die Betrof­fe­nen in ihrem Asyl­ver­fah­ren in Deutsch­land und ihre straf­recht­li­che Ver­tre­tung in Kroatien.

Die Beschrei­bung der mas­kier­ten Ein­satz­kräf­te durch die Betrof­fe­nen stimmt über­ein mit Berich­ten über kroa­ti­sche Son­der­ein­hei­ten der Ope­ra­ti­on »Kori­dor«. Am 06. Okto­ber 2021 ver­öf­fent­lich­te ein jour­na­lis­ti­sches Recher­che­kol­lek­tiv Auf­nah­men, in denen mas­kier­te Ein­satz­kräf­te zu sehen sind, wie sie Schutz­su­chen­de schla­gen und nach Bos­ni­en zurücktreiben.

Am 03. Dezem­ber 2021 for­der­ten die Bericht­erstat­ter des Euro­päi­schen Komi­tees zur Ver­hü­tung von Fol­ter und unmensch­li­cher oder ernied­ri­gen­der Behand­lung oder Stra­fe des Euro­pa­rats in ihrem Bericht zur Poli­zei­ge­walt an den kroa­ti­schen EU-Außen­gren­zen:  »Die Vor­wür­fe über schwe­re kör­per­li­che Miss­hand­lun­gen und ande­re Über­grif­fe von Poli­zei­be­am­ten auf auf­ge­grif­fe­ne Migran­ten im Rah­men der Kori­dor-Ope­ra­ti­on müs­sen unver­züg­lich auf­ge­klärt werden.«

Sechsjähriges Mädchen wird zurückgetrieben – und stirbt 

Selbst Kin­der wer­den Opfer von bru­ta­len Push­back-Aktio­nen der kroa­ti­schen Grenz­be­am­ten. Am 18. Novem­ber 2021 ver­ur­teil­te der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te Kroa­ti­en im »Madi­na-Fall« erst­mals wegen eines ille­ga­len Push­backs. Im Novem­ber 2017 war die sechs­jäh­ri­ge Madi­na Hus­si­ny mit­samt ihrer Fami­lie aus Ser­bi­en kom­mend von der kroa­ti­schen Poli­zei auf­ge­grif­fen wor­den. Die Poli­zei igno­rier­te das Asyl­ge­such und befahl der Fami­lie, den Zug­glei­sen zu fol­gen und zurück nach Ser­bi­en zu gehen. In der Dun­kel­heit wur­de Madi­na von einem Zug erfasst und starb. Der EGMR stell­te des­halb zusätz­lich eine Ver­let­zung des Rechts auf Leben durch Kroa­ti­en fest.

Nur zwei Wochen nach dem Urteil, am 09. Dezem­ber 2021, stand der Schen­gen-Bei­tritt Kroa­ti­ens erneut auf der Tages­ord­nung eines Tref­fens der EU-Innenminister*innen. Dabei kam der Rat zu dem Schluss,  »dass Kroa­ti­en die erfor­der­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für die Anwen­dung aller Tei­le des Schen­gen-Besitz­stands erfüllt.« Damit ist nach der Emp­feh­lung der EU-Kom­mis­si­on 2019 der Weg frei für den letz­ten Schritt: Die Ent­schei­dung des Rats zur voll­stän­di­ge Auf­nah­me Kroa­ti­ens in den Schen­gen-Raum und die Auf­he­bung von Bin­nen­grenz­kon­trol­len. Der kroa­ti­sche Pre­mier­mi­nis­ter geht von einem Bei­tritt Kroa­ti­ens zum Schen­gen-Raum im Jahr 2024 aus.

Dies ist ange­sichts der Tat­sa­che, dass wie­der­hol­te, schwers­te Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen von­sei­ten Kroa­ti­ens durch Medi­en­be­rich­te, zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen und den EGMR belegt sind, mehr als frag­wür­dig. Auch in der Ver­ord­nung zum Schen­ge­ner Grenz­ko­dex ist fest­ge­hal­ten: »Sie soll­te unter Beach­tung der Ver­pflich­tun­gen der Mit­glied­staa­ten in den Berei­chen inter­na­tio­na­ler Schutz und Nicht­zu­rück­wei­sung ange­wandt werden.«

Laut der iri­schen EU-Abge­ord­ne­ten Cla­re Daly trägt die EU eine Mit­schuld an den Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen. Gegen­über dem Guar­di­an sag­te sie: »Das Blut die­ser Men­schen, die an der kroa­ti­schen Gren­ze so grau­sam miss­han­delt wur­den, klebt an den Hän­den der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on. Sie hat die­se Ver­let­zung der Grund­rech­te ermög­licht, indem sie die Fak­ten igno­riert hat, die ihr von NGOs und Abge­ord­ne­ten des Euro­päi­schen Par­la­ments vor­ge­legt wurden.«

Mehrere Gerichte bestätigen Pushback-Gefahr in Kroatien

Dass die euro­pa­recht­lich fest­ge­schrie­be­nen Ver­fah­ren in Kroa­ti­en miss­ach­tet wer­den, haben zuletzt auch Gerich­te in euro­päi­schen Mit­glied­staa­ten fest­ge­stellt und gegen Dub­lin-Abschie­bun­gen von Asyl­su­chen­den geurteilt.

Am 13. April 2022 hat das höchs­te Ver­wal­tungs­ge­richt in den Nie­der­lan­den, der nie­der­län­di­sche Staats­rat, fest­ge­stellt, dass Asyl­su­chen­de nicht mehr »ohne wei­te­re Prü­fung« nach Kroa­ti­en im Rah­men der Dub­lin-III-Ver­ord­nung über­stellt wer­den dür­fen. Grund dafür ist die Gefahr von Push­backs von  Asyl­su­chen­de. Das Risi­ko eines Push­backs besteht dem­nach nicht nur in den Grenz­re­gio­nen, son­dern auch für Schutz­su­chen­de, die sich im Lan­des­in­nern Kroa­ti­ens befin­den. Dem Risi­ko ille­ga­ler Abschie­bun­gen sei­en poten­ti­ell alle Men­schen in Kroa­ti­en aus­ge­setzt, deren Aus­se­hen von der Poli­zei nicht als »kroa­tisch« ange­se­hen wird.

Mit Blick auf die sys­te­ma­ti­schen Push­backs an der bos­nisch-kroa­ti­schen Gren­ze hat das Obers­te Ver­wal­tungs­ge­richt der Schweiz bereits im Juli 2019 eine Dub­lin-Abschie­bung nach Kroa­ti­en gestoppt. Und in Deutsch­land hat im Febru­ar 2022 das Ver­wal­tungs­ge­richt Braun­schweig sys­te­mi­sche Män­gel im kroa­ti­schen Asyl­ver­fah­ren wegen gewalt­sa­mer Push­backs festgestellt.

Die Urtei­le von Ver­wal­tungs­ge­rich­ten bis zum Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te bestä­ti­gen, was in Berich­ten von Medi­en und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen seit Jah­ren doku­men­tiert ist: In Kroa­ti­en wer­den sys­te­ma­tisch gewalt­vol­le Push­backs durchgeführt.

In Kroa­ti­en wer­den sys­te­ma­tisch gewalt­vol­le Push­backs durchgeführt.

Solan­ge grund­le­gen­de Men­schen­rech­te von Schutz­su­chen­den ver­letzt wer­den, dür­fen die EU-Insti­tu­tio­nen das EU-Mit­glied Kroa­ti­en nicht mit dem Schen­gen-Bei­tritt beloh­nen. Statt­des­sen soll­te die EU-Kom­mis­si­on Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen Kroa­ti­en ein­lei­ten und Ermitt­lun­gen in Fäl­len von Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen von Kroa­ti­en ein­for­dern. Die Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on ECCHR erklärt: »Die­ses Kli­ma der Miss­ach­tung der Rechts­staat­lich­keit, gepaart mit völ­li­ger Straf­lo­sig­keit des Staa­tes, erklärt das Fort­be­stehen der Push­back-Prak­ti­ken in Euro­pa, ihre zuneh­men­de Anwen­dung und ihren eska­lie­ren­den, gewalt­tä­ti­gen Cha­rak­ter.« Wird die Straf­lo­sig­keit in Kroa­ti­en akzep­tiert, stellt dies die Ein­hal­tung recht­staat­li­cher Ver­fah­ren an den EU-Außen­gren­zen in Fra­ge – und Betrof­fe­nen wird die Mög­lich­keit genom­men, Gerech­tig­keit für die erlit­te­nen Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen zu erfahren.

(dm)

* Name anonymisiert