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Schutzsuchende werden an der polnisch-belarussischen Grenze festgehalten. Das Bild ist aus dem August, seither hat sich die Lage nicht verbessert. Foto: picture alliance / NurPhoto / Maciej Moskwa

Das Mächtespiel zwischen dem belarussischen Diktator und den sich abschottenden EU-Staaten wird auf dem Rücken schutzsuchender Menschen ausgetragen. Die illegalen Zurückweisungen in Polen, Kroatien und Griechenland zerstören Europas Rechtsstaatlichkeit von innen. Ein Kommentar.

Wo sind die Kin­der? Die­se Fra­ge ertönt gera­de in ganz Polen. Gemeint sind die Kin­der, die wie vie­le schutz­su­chen­de Erwach­se­ne auch an der Gren­ze zu Bela­rus aus­harr­ten und schließ­lich von pol­ni­schen Sicher­heits­kräf­ten »zurück­ge­lei­tet« wur­den in die Dik­ta­tur. Zurück­ge­lei­tet klingt freund­lich und höf­lich – das Gegen­teil aber ist der Fall. De fac­to weist Polen Schutz­su­chen­de in ille­ga­len Push­backs zurück, und das ver­mut­lich nicht gera­de zim­per­lich. Doch so genau weiß das nie­mand, denn die pol­ni­sche Regie­rung hat die Regi­on zum Sperr­ge­biet erklärt und lässt nie­man­den rein – weder Journalist*innen noch Menschenrechtler*innen. Vor weni­gen Tagen hat das Par­la­ment den Aus­nah­me­zu­stand an der Gren­ze um wei­te­re 60 Tage verlängert.

Seit Wochen har­ren Men­schen im Grenz­ge­biet zwi­schen Polen und Bela­rus aus, min­des­tens sechs von ihnen sind bereits gestor­ben. Die rechts­wid­ri­gen Zurück­wei­sun­gen wur­den unter ande­rem durch Amnes­ty Inter­na­tio­nal doku­men­tiert. Doch Menschenrechtler*innen und Journalist*innen kön­nen sol­che Push­backs noch so gut doku­men­tie­ren – sie blei­ben in der Regel straf­los, ob in Polen, Grie­chen­land oder Kroa­ti­en. Mehr als rügen­de Wor­te und die Beteue­rung, man sei »zutiefst besorgt« sind aus Brüs­sel und den Haupt­städ­ten nicht zu hören.

Wie vie­le Men­schen müs­sen noch ster­ben, bevor die EU ent­schie­den ein­schrei­tet gegen die tag­täg­li­che Ver­let­zung der Men­schen­rech­te an ihren Grenzen?

Was muss eigent­lich noch gesche­hen, damit end­lich etwas pas­siert? Wie vie­le Men­schen müs­sen noch ster­ben, bevor die EU ent­schie­den ein­schrei­tet gegen die tag­täg­li­che Ver­let­zung der Men­schen­rech­te an ihren Gren­zen? Wenn Straf­ta­ten von EU-Grenz­schüt­zern began­gen wer­den, aber unge­sühnt blei­ben, wenn Hil­fe­ru­fe gehört, aber nicht beant­wor­tet wer­den, dann bleibt vor allem eins: Ein erdrü­cken­des Gefühl von Ohnmacht.

Wo es keine Bilder mehr gibt, gibt es auch kein Mitgefühl 

Am Bei­spiel der Kin­der wird aber noch etwas deut­lich: Die Macht der Bil­der. Obwohl Polen die Gren­ze rigo­ros abrie­gelt, gelang es Jour­na­lis­ten, Migran­ten­fa­mi­li­en mit ihren Kin­dern zu foto­gra­fie­ren. Die Bil­der mach­ten die Run­de, Empö­rung folg­te. Denn wer in ein­zel­ne Gesich­ter sieht, erkennt den Men­schen, und das weckt Empathie.

Dies hat sowohl die pol­ni­sche als auch die grie­chi­sche Regie­rung gut ver­stan­den – und arbei­tet dar­an, dass es folg­lich kei­ne Bil­der mehr gibt. Auf den grie­chi­schen Inseln ver­schwin­den Geflüch­te­te aus dem Stra­ßen­bild und wer­den in rie­si­ge Lage gesperrt, und wenn der geplan­te New Pact on Migra­ti­on so umge­setzt wird, wie bis­her vor­ge­se­hen, wer­den künf­tig immer mehr Men­schen direkt an den Außen­gren­zen abge­fan­gen und de fac­to inhaftiert.

Die Logik dahin­ter ist ein­fach: Wo es kei­ne Bil­der mehr gibt, gibt es auch kein Mit­ge­fühl – und dem­nach kei­ne Empö­rung, kei­nen Auf­schrei. Schlei­chend wer­den sich die Europäer*innen an den Gedan­ken gewöh­nen, dass an den Gren­zen unschö­ne Din­ge vor sich gehen. Aber das ist schließ­lich weit weg.

Men­schen­rech­te? Gel­ten nur noch, wenn es den Regie­run­gen gera­de in den Kram passt. Und so stirbt mit jedem Push­back ein Stück von Euro­pas Glaubwürdigkeit.