12.07.2020
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Für Geflüchtete aus Eritrea ist die jahrelange Trennung von ihren Familien kaum zu ertragen. Eine selbstorganisierte Initiative kündigt Protest für das Recht auf Familiennachzug an. Symbolbild Familiennachzug: Familienleben für alle!

Hanan ist vor 6 Jahren aus Eritrea nach Deutschland geflüchtet, wurde 2016 als Flüchtling anerkannt und stellte sofort den Antrag auf Familiennachzug. Seitdem wartet sie vergeblich darauf, ihre Familie wiederzusehen – wie viele geflüchtete Eritreer*innen. Am 13. Juli wollen Betroffene deshalb mit einer großen Aktion in Berlin demonstrieren.

Hanan, Du orga­ni­sierst in Ber­lin eine Pro­test-Akti­on für den Fami­li­en­nach­zug. Was hat Dich dazu moti­viert? War­um ist Dir die­ser Pro­test wich­tig? Wofür kämpfst Du?

Ich war ver­zwei­felt, weil ich schon so lang von mei­nem Mann und mei­nen Kin­dern getrennt bin und sich ein­fach nichts tut. Ich habe des­halb über You­Tube ver­sucht, Geflüch­te­te aus Eri­trea zu errei­chen, die in der­sel­ben Situa­ti­on sind. Fast 1.500 Men­schen haben sich dar­auf­hin gemel­det. So kam die »Initia­ti­ve Fami­li­en­nach­zug Eri­trea« zustan­de. Wir haben lan­ge auf die­se Gele­gen­heit gewar­tet. Unse­re Fami­li­en sind ver­zwei­felt, weil wir schon so lang von­ein­an­der getrennt sind. Kin­der müs­sen seit Jah­ren auf ihre Eltern, Eltern auf ihre Kin­der ver­zich­ten. Unse­re Lage ist hoff­nungs­los. Das ist kein Leben. Die­ser Pro­test ist des­halb sehr wich­tig für uns. Wir sind gezwun­gen, für unse­re Rech­te zu kämp­fen – aber wir kämp­fen gern dafür.

Wel­che Pro­ble­me haben Geflüch­te­te aus Eri­trea beim Fami­li­en­nach­zug? Kann man z.B. ein­fach so ohne Pro­ble­me Doku­men­te bekom­men? Oder einen Termin? 

Es geht schon bei der Ter­min­ver­ga­be los. Bei den deut­schen Bot­schaf­ten in afri­ka­ni­schen Län­dern geht das oft online. Es dau­ert zwi­schen einem und andert­halb Jah­re, einen Ter­min zu bekom­men. Und das ist nur die ers­te Hür­de. Die Doku­men­ten­be­schaf­fung für Eritreer*innen im Exil ist sehr pro­ble­ma­tisch und eine Zumu­tung. Die Bun­des­re­gie­rung und das Aus­wär­ti­ge Amt (AA) wis­sen das – des­we­gen haben sie uns Eritreer*innen ja schließ­lich auch als ver­folgt aner­kannt. Den­noch bestehen sie auf Doku­men­te, die wegen der eri­tre­ischen Behör­den unheim­lich schwie­rig zu beschaf­fen sind. Ein wei­te­res Pro­blem ist auch das Urkun­de­we­sen in Eri­trea. 95% der Eritreer*innen bekom­men ihre Doku­men­te – Hei­rats- und Geburts­ur­kun­den – nicht etwa beim Rat­haus, son­dern von Kir­chen und Moscheen aus­ge­stellt. Doch hier wer­den sol­che Doku­men­te nicht aner­kannt. Nur 5% kön­nen stan­des­amt­li­che Doku­men­te vorweisen.

Wel­che Erfah­run­gen hast Du gemacht?

Ich bin 2014 aus Eri­trea geflüch­tet. Im sel­ben Jahr kam ich nach Deutsch­land. Mein Mann ist 2016 aus Eri­trea geflüch­tet, seit 2018 sind mei­ne Kin­der und mein Mann in Ugan­da. In Deutsch­land wur­de ich 2016 als Flücht­ling aner­kannt und stell­te frist­ge­recht einen Antrag auf den Nach­zug. Ich habe alles ein­ge­reicht, was nötig war, Hei­rats­ur­kun­de, Geburts­ur­kun­den mei­ner Kin­der und mei­nes Man­nes, Schul­zer­ti­fi­ka­te. Ein Pro­blem war: Auf der Flucht aus Eri­trea her­aus wur­de die Hei­rats­ur­kun­de auf Eng­lisch beschä­digt und ist etwas unle­ser­lich gewor­den. Die deut­sche Bot­schaft in Ugan­da woll­te sie des­halb nicht aner­ken­nen und ver­lang­te eine neue Urkun­de. Die haben wir unter einem Rie­sen­auf­wand neu beschaf­fen müs­sen. Dazu kam noch ein DNA-Nach­weis, dass wir als Fami­lie mit­ein­an­der ver­wandt sind. Ich soll­te sogar das Video mei­ner Hoch­zeit und Bil­der davon, wie der Pries­ter uns traut, ein­rei­chen. Ich weiß bis heu­te nicht, wo mein Fall jetzt ist und wie lan­ge ich noch war­ten soll. Mei­ne Anwäl­tin sagt mir nur, dass er beim AA anhän­gig ist.

»Kin­der ken­nen ihre Geschwis­ter und ihre Eltern nicht. Man kann sich kaum vor­stel­len, wel­che Aus­wir­kun­gen das auf sie hat. Wir sind in die­ser Situa­ti­on gefangen.«

Hanan, Initia­ti­ve Fami­li­en­nach­zug Eritrea

Wie geht es den getrenn­ten Familien? 

Das ist eine ein­fa­che Fra­ge, die Ant­wort dar­auf ist unheim­lich schwer. Den Fami­li­en geht es so schlecht, ich kann es kaum in Wor­te fas­sen. Ich bin jetzt mitt­ler­wei­le sechs Jah­re von mei­nem Mann und zwei mei­ner Kin­der getrennt. Es ist eine elen­de und trau­ri­ge Geschich­te. Kin­der ken­nen ihre Geschwis­ter und ihre Eltern nicht. Man kann sich kaum vor­stel­len, wel­che Aus­wir­kun­gen das auf sie hat. Wir sind in die­ser Situa­ti­on gefan­gen. Die Ange­hö­ri­gen hier haben kei­nen frei­en Kopf für Schu­le, Arbeit, Aus­bil­dung. Sehr vie­le wer­den depres­siv. Vie­le Fami­li­en gehen auch in Brü­che.  

Was soll­te Dei­ner Mei­nung nach pas­sie­ren? Wie kann man die Situa­ti­on verbessern? 

Die Bun­des­re­gie­rung muss eine schnel­le Lösung fin­den. Mehr als 1.000 Eritreer*innen sind zum Teil seit Jah­ren von ihren Fami­li­en getrennt. Wir for­dern eine Prio­ri­sie­rung der Bear­bei­tung von Fami­li­en­nach­zugs­fäl­len bei den Bot­schaf­ten. Außer­dem soll­te die Doku­men­ten­be­schaf­fung erleich­tert wer­den. Das AA soll­te DNA-Nach­wei­se als aus­rei­chend anse­hen und die Doku­men­te aner­ken­nen, die ein­ge­reicht wer­den können.

Was erhoffst Du Dir von der Aktion? 

Tau­send Ange­hö­ri­ge, Müt­ter, Väter, Kin­der, haben sich für die Akti­on am 13. Juli in Ber­lin ange­kün­digt. Wir wer­den auch vor dem AA demons­trie­ren. Ich wün­sche mir, dass die Mitarbeiter*innen dort uns nicht mehr als Fäl­le sehen, son­dern als Men­schen und Fami­li­en mit Schick­sa­len dahin­ter und dass sie unse­re Anträ­ge schnel­ler bear­bei­ten, damit wir end­lich unse­re Fami­li­en wiedersehen.

Vie­len Dank für das Gespräch, Hanan. 

Das Inter­view führ­te Anđel­ka Križanović. 

Zum Auf­ruf der Initia­ti­ve Fami­li­en­nach­zug Eri­trea geht es hier. PRO ASYL unter­stützt mit vie­len ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen den  Aufruf.