04.09.2023
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Im Juli 2023 stürmten Nationalisten ein Pride-Fest in der Haupstadt Tiflis. Die Veranstaltung musste abgebrochen werden. Für LGBTIQ+-Personen ist Georgien nachweislich nicht sicher. Foto: Reuters/ Irakli Gedenidze

Am 30. August 2023 wurde im Kabinett ein SPD-Gesetzentwurf beschlossen, in dem Georgien und die Republik Moldau als »sichere Herkunftsländer« eingestuft werden. Er geht nun durch das parlamentarische Verfahren im Bundestag und zur Abstimmung in den Bundesrat. PRO ASYL kritisiert sowohl die Einstufung als auch das Verfahren als hoch problematisch.

PRO ASYL lehnt das Kon­zept der »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« grund­sätz­lich ab, denn es ist bereits im Kern mit dem indi­vi­du­el­len Recht auf Asyl unvereinbar.

Kriterien zur Einstufung nicht erfüllt

Zudem igno­riert das Bun­des­mi­nis­te­ri­um des Innern und für Hei­mat (BMI) im aktu­el­len Geset­zes­ent­wurf schlicht­weg recht­li­che Vor­schrif­ten. Das BMI begrün­det die Initia­ti­ve vor allem mit den gerin­gen Aner­ken­nungs­zah­len des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) von Asyl­su­chen­den aus die­sen bei­den Län­dern. Dies als Anhalts­punkt zu neh­men, um Her­kunfts­staa­ten als sicher zu dekla­rie­ren, ist jedoch recht­lich frag­lich. Denn laut der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts kön­nen die Schutz­quo­ten nur Indi­zi­en bezüg­lich der Sicher­heit eines Her­kunfts­lan­des sein. Vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt wird zudem ein EU-Ver­gleich ange­regt, der zum Bei­spiel für Geor­gi­en in ande­ren euro­päi­schen Län­dern Aner­ken­nungs­quo­ten von bis zu 40 Pro­zent aufweist.

Außer­dem hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in sei­nem Urteil von 1996 kla­re Kri­te­ri­en for­mu­liert, die für die Ein­stu­fung eines Her­kunfts­lan­des als sicher vor­lie­gen müs­sen. Dar­in heißt es unter ande­rem, dass in dem Staat eine lan­des­wei­te Sicher­heit sowie eine Sicher­heit für jeg­li­che Grup­pen inner­halb des Lan­des bestehen müs­sen. Zudem muss eine gewis­se Sta­bi­li­tät und Kon­ti­nui­tät der Ver­hält­nis­se bestehen und eine Ver­bes­se­rung der all­ge­mei­nen Situa­ti­on in jün­ge­rer Zeit zu sehen sein. Eben­so ist der Gesetz­ge­ber ver­pflich­tet, eine gründ­li­che Tat­sa­chen- und Beweis­wür­di­gung der ver­füg­ba­ren Quel­len vorzunehmen.

Die­se ver­pflich­ten­den Kri­te­ri­en kön­nen bezüg­lich der bei­den Her­kunfts­staa­ten Geor­gi­en und der Repu­blik Mol­dau nicht erfüllt werden.

Die Ein­stu­fung hat für Geflüch­te­te aus soge­nann­ten »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« weit­rei­chen­de Fol­gen. Sehr schnel­le Ver­fah­ren, die gro­ße Schwie­rig­kei­ten brin­gen, recht­zei­tig Bera­tung oder Anwält*innen zu fin­den, ver­kürz­te Rechts­mit­tel­fris­ten, Arbeits­ver­bo­te und der Aus­schluss von Blei­be­rechts­re­ge­lun­gen sind eini­ge davon. Die Basis des Asyl­rechts, näm­lich die indi­vi­du­el­le und vor­be­halt­lo­se Prü­fung eines jeden Asyl­an­trags, wird durch die gesetz­li­che Ver­mu­tung der Sicher­heit kontaminiert.

Die deut­sche Schutz­quo­te für Asyl­su­chen­de aus Geor­gi­en ist im EU-Ver­gleich unter­durch­schnitt­lich schlecht. Im Jahr 2022 lag die Schutz­quo­te in der gesam­ten Euro­päi­schen Uni­on bei rund 8 %, in Frank­reich (mit den meis­ten Anträ­gen aus Geor­gi­en) lag sie bei 5 %, in Bel­gi­en bei 15 % und in Ita­li­en sogar bei 41 % (vgl. Euro­stat, abge­ru­fen am 20.07.2023). Die deut­sche berei­nig­te Schutz­quo­te für Geor­gi­en für das Jahr 2022 von knapp 0,5 % (vgl. BAMF, Asyl­ge­schäfts­sta­tis­tik 2022) ist damit äußerst kri­tisch zu sehen.

Beitrittsperspektive zur EU ist kein ausreichendes Argument

Als ein wich­ti­ges Argu­ment für eine Ein­stu­fung als »siche­rer Her­kunfts­staat« wird im Refe­ren­ten­ent­wurf ange­führt, dass Geor­gi­en seit 2022 eine Bei­tritts­per­spek­ti­ve für die EU hat. Jedoch wur­den im Zuge des­sen grund­le­gen­de Refor­men, ins­be­son­de­re im Bereich der Jus­tiz, ange­mahnt und Geor­gi­en gera­de noch nicht als EU-Bei­tritts­kan­di­dat ein­ge­stuft. Dass selbst der Sta­tus des Bei­tritts­kan­di­da­ten wenig über die tat­säch­lich demo­kra­ti­sche und men­schen­recht­li­che Ent­wick­lung aus­sagt, zeigt, dass die Tür­kei seit 2005 die­sen Sta­tus hat und sich die dor­ti­ge Men­schen­rechts­la­ge und die Situa­ti­on des Rechts­staats in den letz­ten Jah­ren stark ver­schlech­tert hat.

Keine landesweite Sicherheit 

In Geor­gi­en gibt es zudem kei­ne lan­des­wei­te Sicher­heit. Die Regio­nen Abcha­si­en und Süd­os­se­ti­en sind unter rus­si­scher Kon­trol­le, der geor­gi­sche Staat kann dort die Bürger*innen nicht schüt­zen. Zusätz­lich sind die bei­den Regio­nen seit dem rus­si­schen Angriffs­krieg neue Kon­flikt­her­de.

Keine Sicherheit für alle Gruppen

Die Situa­ti­on von LGBTIQ+-Personen in Geor­gi­en ist äußerst schwie­rig, was in der Geset­zes­be­grün­dung nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt wird. Zudem bestä­ti­gen etli­che Gerichts­ur­tei­le in Asyl­pro­zes­sen in Deutsch­land die feh­len­de Sicher­heit für LGTBIQ+ in Georgien.

Auch Pres­se, Medienvertreter*innen, Kunst- und Kul­tur­schaf­fen­de gera­ten in jüngs­ter Zeit zuneh­mend unter Druck. Eben­so lei­det die geor­gi­sche Jus­tiz unter der wach­sen­den Ein­fluss­nah­me der nun­mehr pro-rus­si­schen geor­gi­schen Regie­rung. Das Recht wird selek­tiv ange­wen­det, es bestehen poli­tisch moti­vier­te Ver­fol­gun­gen von Oppo­si­tio­nel­len und kri­ti­schen Medien.

Bel­gi­en hat gera­de wegen die­sen Rück­schrit­ten bei der Sicher­heits­la­ge für LGBTIQ+-Personen Geor­gi­en erst kürz­lich von der Lis­te der siche­ren Her­kunfts­staa­ten gestri­chen.

Verstärkter pro-russischer Kurs der Regierung

Anfang des Jah­res 2023 ver­such­te die geor­gi­sche Regie­rung ein Gesetz zu erlas­sen, nach wel­chem Medi­en und Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen zu »aus­län­di­schen Agent*innen« erklärt wer­den kön­nen. Das Gesetz ori­en­tier­te sich dabei an sei­nem rus­si­schen Pen­dant. Das Gesetz schei­ter­te nur auf­grund erheb­li­chen Pro­tests sei­tens der Zivil­be­völ­ke­rung und ver­deut­licht den Druck, unter dem die Men­schen­rech­te in Geor­gi­en stehen.

Keine landesweite Sicherheit

Das Kri­te­ri­um der lan­des­wei­ten Sicher­heit, um einen Her­kunfts­staat rechts­kon­form als sicher ein­stu­fen zu kön­nen, wird auch bei der Repu­blik Mol­dau nicht erfüllt. So steht die Regi­on Trans­nis­tri­en unter rus­si­schem Ein­fluss, die Regie­rung Mold­aus hat dort kei­ne Kon­trol­le über die Bürger*innen. Der ohne­hin schwe­len­de Kon­flikt mit Russ­land in die­ser Regi­on ver­schlech­ter­te sich zuletzt seit dem rus­si­schen Angriffs­krieg. Russ­land beschul­digt die Ukrai­ne der­zeit unun­ter­bro­chen, eine mili­tä­ri­sche Pro­vo­ka­ti­on in der abtrün­ni­gen Regi­on Trans­nis­tri­en durch­füh­ren zu wol­len. Durch Putins Pro­vo­ka­ti­on wächst die Angst vor der Aus­wei­tung des Krie­ges auch auf die Repu­blik Moldau.

Keine Sicherheit für alle Gruppe

Vie­le der Asyl­an­trag­stel­len­den aus der Repu­blik Mol­dau sind Ange­hö­ri­ge der Rom*nja-Minderheit. Rom*nja leben in Mol­dau unter äußerst pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen und wer­den in allen Lebens­be­rei­chen größ­ten­teils dis­kri­mi­niert. Hin­zu kommt die his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung Deutsch­lands für Men­schen die­ser Grup­pe, von denen Nazi-Deutsch­land eine hal­be Mil­li­on umbrach­te. Ent­spre­chend gerecht­fer­tigt ist die Kri­tik des Anti­zi­ga­nis­mus­be­auf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung Meh­met Dai­ma­gü­ler an der geplan­ten Ein­stu­fung von Mol­dau als »siche­rer Herkunftsstaat«.

 Verschlechterung der allgemeinen Situation

Laut Amnes­ty Inter­na­tio­nal hat es 2022 in Mol­dau kei­ne Fort­schrit­te bezüg­lich statt­fin­den­der Vor­fäl­le von Fol­ter und unmensch­li­cher Behand­lung in Haft gege­ben. Die Mel­dun­gen von häus­li­cher Gewalt gegen Frau­en haben zuge­nom­men, doch es gibt kaum Straf­ver­fah­ren und wenn, dann mün­den sie in mil­den Stra­fen. Auch der schwe­len­de Kon­flikt mit Russ­land führ­te in letz­ter Zeit zu einer Ver­schlech­te­rung der all­ge­mei­nen Situa­ti­on. Der Sta­tus eines EU-Bei­tritts­kan­di­da­ten kann dar­an auch nichts ändern, zumal der Sta­tus an sich nichts über die Sicher­heit im Land aus­sagt. Deut­lich wird dies am Bei­spiel der Tür­kei, seit 2005 Bei­tritts­kan­di­dat, in der sich die men­schen­recht­li­che Lage in den letz­ten Jah­ren extrem ver­schlech­tert hat.

Übli­cher­wei­se wer­den bei Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren auch die Stel­lung­nah­men von Ver­bän­den ange­fragt (Ver­bän­de­be­tei­li­gung). Bereits unter See­ho­fer waren hier­für die gesetz­ten Fris­ten für die Abga­be einer Stel­lung­nah­me sehr kurz. In gleich­blei­ben­der Tra­di­ti­on betrug auch die­ses Mal unter einem SPD-geführ­ten Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um die Frist weni­ger als 48 Stun­den – außer­dem wur­de drei Tage nach der Abga­be der Stel­lung­nah­men der Geset­zes­ent­wurf im Kabi­nett bereits beschlos­sen. Weder die Ver­bän­de hat­ten genug Zeit, sich detail­liert mit dem Geset­zes­ent­wurf aus­ein­an­der­zu­set­zen und eine fun­dier­te Stel­lung­nah­me zu schrei­ben, noch war es den zustän­di­gen Per­so­nen im Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um inner­halb der kur­zen Zeit bis zum Beschluss mög­lich, die Stel­lung­nah­men zu lesen. So ver­kommt das an sich gute Instru­ment der Betei­li­gung von Expert*innen im Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren zur Farce.

Die Debatte um »sichere Herkunftsstaaten« als Folge flüchtlingsfeindlicher Diskurse

Der Geset­zes­ent­wurf zur Ein­stu­fung Mold­aus und Geor­gi­ens als soge­nann­te siche­re Her­kunfts­staa­ten kommt nicht von unge­fähr. Er ist Teil eines gro­ßen poli­ti­schen Abschre­ckungs­sys­tems, wel­ches seit Jahr­zehn­ten auf­ge­baut und seit eini­gen Mona­ten erschre­ckend erwei­tert und ver­ste­tigt wird. Auf über­las­te­te Kom­mu­nen und vol­le Geflüch­te­ten­un­ter­künf­te reagie­ren die Län­der sowie der Bund zu häu­fig mit Abwehr- und Abschre­ckungs­in­stru­men­ten. Mehr Abschie­bun­gen, wei­te­re Haft­grün­de für Geflüch­te­te, grund­rechts­wid­ri­ge Aus­wei­tun­gen poli­zei­li­cher Kom­pe­ten­zen und nun die Ein­stu­fung wei­te­rer Her­kunfts­län­der als ver­meint­lich sicher bie­tet aber den Kom­mu­nen kei­ne Lösun­gen für Unter­brin­gung und Inte­gra­ti­on von Schutz­su­chen­den an.

Der Dis­kurs über die neu­er­li­che Ein­stu­fung Geor­gi­ens und der Repu­blik Mol­dau als »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« setzt sich zudem über höchst­in­stanz­li­che Recht­spre­chung hin­weg und ist gleich­zei­tig auch zu einer nicht auf Fak­ten basie­ren­den Debat­te geworden.

Dem angeb­li­chen Abschie­bungs­voll­zugs­de­fi­zit soll mit der Ein­stu­fung »siche­rer Her­kunfts­staa­ten« begeg­net wer­den. Dies ist jedoch irre­füh­rend. Denn schon jetzt kön­nen Abschie­bun­gen nach Geor­gi­en und in die Repu­blik Mol­dau ohne Pro­ble­me durch­ge­führt wer­den, es bestehen dazu mit bei­den Län­dern bereits Abkom­men. Dies wird in nicht uner­heb­li­cher Anzahl bereits getan, nach Mol­dau zum Bei­spiel fin­den monat­li­che Sam­mel­ab­schie­bun­gen statt. An die­sen Zah­len wird sich auch nach der Ein­stu­fung kaum etwas ändern.

Somit führt die Bun­des­re­gie­rung eine poli­tisch moti­vier­te Debat­te und kei­ne fak­ten­ba­sier­te. PRO ASYL hat zum Geset­zes­ent­wurf eine aus­führ­li­che Stel­lung­nah­me verfasst. 

(ta,nb)