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Die Politik plant zunehmende Binnengrenzkontrollen. Bild: Bundespolizei

Kurz vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen überbieten sich die führenden Köpfe der großen Parteien mit schlechten Ideen: Vom Deutschlandpakt zu einem neuen Asylkompromiss, es scheint kaum ein Halten zu geben in der aktuellen Debatte. Zur Lösung der Herausforderungen tragen die Vorschläge nichts bei, sie sind aber Nährboden für rechte Hetze.

Die Dis­kus­si­on in Deutsch­land zur Migra­ti­on ist in vol­lem Gan­ge und getrie­ben von Umfra­ge­wer­ten vor den kom­men­den Land­tags­wah­len scheint jede Par­tei noch eins drauf­set­zen zu wol­len im Abschie­bungs- und Abschot­tungs­kurs der deut­schen Poli­tik. Dabei haben vie­le der For­de­run­gen wenig mit der Rea­li­tät zu tun, bie­ten kei­ne Lösun­gen und hei­zen die Stim­mung im Land nur zusätz­lich an.

Was dabei kom­plett aus dem Blick gerät: Die Aner­ken­nungs­quo­te von Asyl­su­chen­den liegt in Deutsch­land wei­ter­hin beim Rekord­wert von über 70% –  die meis­ten sind also schutz­be­dürf­tig! Sie kom­men vor allem aus Syri­en, Afgha­ni­stan und der Tür­kei. Anstatt sich um ihre Auf­nah­me zu küm­mern und lang­fris­ti­ge Stra­te­gien für Woh­nungs- und Arbeits­markt zu ent­wi­ckeln, wird eine poli­ti­sche Ablen­kungs­de­bat­te geführt.

Fluchtverhinderung wird zum traurigen Konsens der deutschen Politik

Aktu­ell scheint kaum ein Debat­ten­bei­trag ohne die For­de­rung nach der Begren­zung »irre­gu­lä­rer Migra­ti­on« (oder gar »ille­ga­ler« Migra­ti­on) aus­zu­kom­men – selbst im »Deutsch­land-Pakt« des Bun­des­kanz­lers kommt die­se For­de­rung vor, in dem es ansons­ten um Moder­ni­sie­rung und Abbau von Büro­kra­tie geht. Für PRO ASYL ist es wich­tig, klar zu benen­nen, wor­um es bei all die­sen Vor­schlä­gen eigent­lich geht: um die Abwehr von Schutzsuchenden.

Dabei bleibt Men­schen, die vor der Fol­ter in Assads Gefäng­nis­sen, vor der Will­kür der Tali­ban-Herr­schaft oder vor der poli­ti­schen Ver­fol­gung in der Tür­kei flie­hen wol­len, nur die Mög­lich­keit, über See- oder Land­gren­zen zu flie­hen und dann einen Asyl­an­trag zu stel­len. Denn seit Jah­ren wer­den siche­re Ein­rei­se­we­ge über Visa und Auf­nah­me­pro­gram­me für flie­hen­de Men­schen ver­sperrt. Die dann ein­zi­ge ver­blei­ben­de Opti­on, über lebens­ge­fähr­li­che Flucht­rou­ten ein siche­res Land auf­zu­su­chen, wird nun mit dem Label der »irre­gu­lä­ren Migra­ti­on« gebrand­markt und soll begrenzt bzw. ver­hin­dert werden.

Die weni­gen siche­ren Zugangs­we­ge sol­len laut vie­len Politiker*innen sogar zusätz­lich ein­ge­schränkt wer­den: So sol­len die eigent­lich im Koali­ti­ons­ver­trag ver­ein­bar­te not­wen­di­ge Erleich­te­rung des Fami­li­en­nach­zugs von min­der­jäh­ri­gen Geschwis­tern und den Ange­hö­ri­gen sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ter (wie z. B. Bür­ger­kriegs­flücht­lin­gen aus Syri­en) laut Innen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser vor­erst nicht kom­men; aus den Rei­hen der mit­re­gie­ren­den FDP wird sogar ein Stopp des Fami­li­en­nach­zugs ins­ge­samt gefor­dert. Dabei dau­ert es schon jetzt jah­re­lang, bis nach Deutsch­land geflüch­te­te Men­schen ihre engs­ten Ange­hö­ri­gen in die Sicher­heit nach­ho­len kön­nen. Der Fami­li­en­nach­zugs­pro­zess ist für die Betrof­fe­nen extrem zer­mür­bend und macht es für vie­le unmög­lich, sich auf Sprach­er­werb oder Arbeits­su­che zu kon­zen­trie­ren, wenn sie gleich­zei­tig Angst um ihre Fami­lie haben. Des­we­gen erin­ner­ten erst kürz­lich zum Welt­kin­der­tag über 30 Orga­ni­sa­tio­nen die Bun­des­re­gie­rung an ihr Ver­spre­chen. Die Oppo­si­ti­ons­frak­ti­on von CDU/CSU for­dert in ihrem »Deutsch­land-Pakt in der Migra­ti­ons­po­li­tik« zudem auch noch die Ein­stel­lung des Bun­des­auf­nah­me­pro­gramms Afgha­ni­stan. Die­se Vor­schlä­ge machen deut­lich: es geht nicht dar­um, ob die Men­schen »regu­lär« oder »irre­gu­lär« kom­men – sie sol­len gar nicht kommen.

Die­se Vor­schlä­ge machen deut­lich: es geht nicht dar­um, ob die Men­schen »regu­lär« oder »irre­gu­lär« kom­men – sie sol­len gar nicht kommen.

Binnengrenzkontrollen mit europapolitischer Sprengkraft

Eine immer wie­der erho­be­ne For­de­rung ist die nach Bin­nen­grenz­kon­trol­len. Nun hat Innen­mi­nis­te­rin Fae­ser ver­kün­det, dem Druck unter ande­rem aus Bran­den­burg und Sach­sen nach­zu­ge­ben und an der Gren­ze zu Polen und Tsche­chi­en »fle­xi­ble Schwer­punkt­kon­trol­len« ein­zu­füh­ren. An der Gren­ze zu Öster­reich gibt es schon seit 2015 sol­che Kon­trol­len, obwohl sie euro­pa­rechts­wid­rig sein dürf­ten. Sol­che Bin­nen­grenz­kon­trol­len haben immer euro­pa­po­li­ti­sche Spreng­kraft, stel­len sie doch die offe­nen Gren­zen inner­halb der EU in Fra­ge – und sind auch gera­de vor einer ent­schei­den­den Wahl wie in Polen nicht unheikel.

Sol­che Grenz­kon­trol­len füh­ren aber nicht zur Abschre­ckung Geflüch­te­ter, die bei­spiels­wei­se aus Grie­chen­land wei­ter flie­hen, weil ihnen dort, wie mehr­fach ober­ge­richt­lich bestä­tigt, die not­wen­digs­ten Lebens­grund­la­gen vor­ent­hal­ten werden.

Zurück­wei­sun­gen an den Bin­nen­gren­zen sind zudem schlicht nicht zuläs­sig, wenn die Betrof­fe­nen den Bundespolizist*innen gegen­über ein Asyl­be­geh­ren äußern – was selbst von der Gewerk­schaft der Poli­zei aner­kannt wird. An der Gren­ze zu Öster­reich und Schweiz sind jedoch die Zurück­wei­sungs­zah­len jüngst stark gestie­gen. Da es sich bei vie­len Betrof­fe­nen um Per­so­nen aus Haupt­flucht­län­dern han­delt, muss befürch­tet wer­den, dass an den deut­schen Bin­nen­gren­zen mas­si­ve rechts­wid­ri­ge Zurück­wei­sun­gen statt­fin­den (soge­nann­te Pushbacks).

Das gilt unab­hän­gig davon, ob nach der Dub­lin-Ver­ord­nung eigent­lich ein ande­rer Mit­glied­staat für das Asyl­ver­fah­ren der schutz­su­chen­den Per­son zustän­dig wäre oder ob die Per­son dort bereits eine Zuer­ken­nung von inter­na­tio­na­lem Schutz erhal­ten hat. Bei­des sind Fra­gen, über die nach gel­ten­der Rechts­la­ge allein das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) ent­schei­den darf. Im erst­ge­nann­ten Fall ist das BAMF dazu beru­fen, zu prü­fen, ob ein Asyl­an­trag wegen der Zustän­dig­keit eines ande­ren Mit­glied­staa­tes unzu­läs­sig ist oder ob nicht doch Deutsch­land den Antrag im Bun­des­ge­biet inhalt­lich prü­fen muss. Zum Bei­spiel, weil sich hier Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge auf­hal­ten, denen in Deutsch­land bereits inter­na­tio­na­ler Schutz zuge­spro­chen wur­de (vgl. Art. 9 Dub­lin-VO) oder weil das Asyl- und Auf­nah­me­sys­tem in dem eigent­lich zustän­di­gen Mit­glied­staat sys­te­mi­sche Män­gel auf­weist – wie in jüngs­ter Zeit von Sei­ten der Recht­spre­chung etwa viel­fach in Bezug auf Kroa­ti­en auf­grund der dort ver­brei­te­ten Pra­xis von gewalt­tä­ti­ge Push­backs ange­nom­men. Im zwei­ten Fall haben Betrof­fe­ne auch dann ein Anrecht auf ein Asyl­an­trag in Deutsch­land, wenn in jenem Staat, der ihnen bereits inter­na­tio­na­len Schutz zuge­spro­chen hat, exis­tenz­not­wen­di­ge Lebens­grund­la­gen ver­wehrt wer­den – wie oben zum Bei­spiel Grie­chen­land bereits ausgeführt.

Zurück­wei­sun­gen an den Bin­nen­gren­zen dürf­ten aber selbst dann kaum noch mög­lich sein, wenn Ein­rei­sen­de kei­nen Asyl­an­trag stel­len. Das liegt dar­an, dass der Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH) mit Urteil vom 21. Sep­tem­ber 2023 ent­schie­den hat, dass auch bei Zurück­wei­sun­gen die Rück­füh­rungs­richt­li­nie Anwen­dung fin­det. Dies hat – wie die Poli­zei­ge­werk­schaft zutref­fend her­vor­hebt – zur Fol­ge, dass stets eine indi­vi­du­el­le Rück­kehr­ent­schei­dung mit der Mög­lich­keit zur frei­wil­li­gen Aus­rei­se getrof­fen wer­den muss, die dann auch gericht­lich ange­foch­ten wer­den kann.

Beson­ders krea­tiv schei­nen Politiker*innen aktu­ell nur dar­in zu sein, sich mög­lichst restrik­ti­ve Maß­nah­men zu über­le­gen, die angeb­lich Men­schen davon abhal­ten, nach Deutsch­land zu kommen.

Abschrecken, abschrecken, abschrecken

Beson­ders krea­tiv schei­nen Politiker*innen aktu­ell nur dar­in zu sein, sich mög­lichst restrik­ti­ve Maß­nah­men zu über­le­gen, die angeb­lich Men­schen davon abhal­ten, nach Deutsch­land zu kom­men. Grund­la­ge die­ser Annah­men ist häu­fig eine voll­stän­di­ge Igno­ranz der Flucht­grün­de der Men­schen, die sich auch durch deut­sche Geset­ze nicht ändern werden.

Sehr beliebt sind die soge­nann­ten »siche­ren Her­kunfts­staa­ten«. Kaum hat sich die Bun­des­re­gie­rung, trotz bekann­ter Pro­ble­me der Roma oder der LGBTIQ-Per­so­nen in der Repu­blik Mol­dau und Geor­gi­en, per Kabi­netts­be­schluss für eine Ein­stu­fung der bei­den Län­der als »sicher« ent­schie­den – das par­la­men­ta­ri­sche Ver­fah­ren steht noch aus – schon ruft die FDP in einem Prä­si­di­ums­be­schluss dazu auf, auch noch die Maghreb-Län­der Marok­ko, Tune­si­en und Alge­ri­en als »sicher« ein­zu­stu­fen. Die CDU/CSU Frak­ti­on for­dert das glei­che aus der Oppo­si­ti­on her­aus und fügt noch Indi­en der Wunsch­lis­te hin­zu. Kei­ner­lei Rol­le schei­nen hier­bei die ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben zu spie­len, laut derer vor allem die tat­säch­li­che Men­schen­rechts­la­ge in den Län­dern ent­schei­dend ist und nicht allei­ne die Aner­ken­nungs­quo­ten im deut­schen Asyl­ver­fah­ren. Die Men­schen­rechts­la­ge gera­de in den Maghreb-Län­dern ist pre­kär, auch hier ste­hen LGBTIQ-Per­so­nen oder Oppo­si­tio­nel­le unter star­kem Druck. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat 1996 ein­deu­tig fest­ge­stellt, dass in einem »siche­ren Her­kunfts­staat« eine lan­des­wei­te Sicher­heit sowie eine Sicher­heit für jeg­li­che Grup­pen inner­halb des Lan­des bestehen müs­sen. Das ist in kei­nem der aktu­ell dis­ku­tier­ten Län­der der Fall. Auch rein prak­tisch hät­te die Ein­stu­fung wenig Aus­wir­kung auf das Migra­ti­ons­ge­sche­hen nach Deutsch­land, da aus den Län­dern ins­ge­samt nur 6,6 Pro­zent der Asyl­su­chen­den in die­sem Jahr gekom­men sind. Kon­kret heißt es für die Men­schen jedoch, dass ihre Chan­cen im Asyl­ver­fah­ren erheb­lich erschwert wer­den und sie durch ver­schie­de­ne Ein­schrän­kun­gen stark gegän­gelt wer­den (sie­he hier­zu auch die PRO ASYL Stel­lung­nah­me zu »siche­ren Her­kunfts­staa­ten«).

Menschenwürde soll migrationspolitisch (und damit verfassungswidrig) relativiert werden

CSU-Chef Mar­kus Söder und die FDP for­der­ten die­ser Tage die Ein­füh­rung von beson­de­ren Bezahl­kar­ten statt Bar­geld. Spä­tes­tens seit der Erfin­dung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes 1993 krei­sen die Wün­sche von Vertreter*innen der »Abschreckungs«-Strategie immer wie­der dar­um, Geflüch­te­ten das Leben im All­tag schwer zu machen: Durch abge­le­ge­ne »Gemeinschafts«-Unterbringung mit Hun­der­ten Men­schen in immer grö­ße­ren Lagern, durch gekürz­te Sozi­al­leis­tun­gen und durch die Aus­ga­be von Sach­leis­tun­gen, die den Betrof­fe­nen die Ver­fü­gung über jeg­li­ches Bar­geld ent­zieht. Die Ver­gan­gen­heit hat gezeigt: Für die Kom­mu­nen sind Son­der­sys­te­me oft­mals deut­lich teu­rer. Für die Betrof­fe­nen stel­len Sach­leis­tun­gen und Son­der­sys­te­me vor allem eine sicht­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung und eine Beschrän­kung der Selbst­be­stim­mung dar. Eine abschre­cken­de Wir­kung mit Blick auf län­der­über­grei­fen­de Flucht­be­we­gun­gen hat sich in all den Jah­ren nie gezeigt. Die bes­te und unbü­ro­kra­tischs­te Bezahl­kar­te bleibt die für das nor­ma­le Girokonto.

Schrecklich geschichtsvergessende Vorschläge

Beson­ders gra­vie­rend sind aber die Über­le­gun­gen, sogar das Grund­ge­setz ändern zu wol­len: CSU-Chef Mar­kus Söder sprach bei sei­ner Wie­der­wahl am 23. Sep­tem­ber 2023 als einer der ers­ten von einer ver­meint­lich not­wen­di­gen »über­par­tei­li­chen Kraft­an­stren­gung ent­spre­chend dem Asyl­kom­pro­miss in den neun­zi­ger Jah­ren«. Kurz dar­auf äußer­te sich Chris­ti­an Lind­ner mit den Wor­ten: »Wir brau­chen eine Wen­de in der Migra­ti­ons­po­li­tik wie den Asyl­kom­pro­miss Anfang der 1990er-Jah­re. Ich begrü­ße, dass sowohl Robert Habeck als auch Fried­rich Merz dies offen­bar genau­so sehen. Bei den Grü­nen ist das ein neu­er Schritt. Wir soll­ten die Gele­gen­heit nut­zen. Denn für Ver­än­de­run­gen, die das Grund­ge­setz betref­fen könn­ten, brau­chen wir einen über­grei­fen­den Kon­sens«.

Der Ver­weis auf den soge­nann­ten Asyl­kom­pro­miss, mit dem das Asyl­grund­recht de fac­to aus­ge­höhlt wur­de, ruft höchst ungu­te Erin­ne­run­gen wach. Mit die­sem Schlei­fen des Asyl­rechts reagier­te die Poli­tik 1993 auf eine – teil­wei­se von ihr selbst ange­sta­chel­te – ras­sis­ti­sche Flücht­lings­de­bat­te, die oft mit Wor­ten wie »das Boot ist voll« zusam­men­ge­fasst wur­de und die dar­über hin­aus in gewalt­tä­ti­ge ras­sis­ti­sche Aus­schrei­tun­gen in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen und Solin­gen umschlug. Es darf nicht sein, dass sich die Regie­rung heu­te erneut einem Rechts­ruck beugt.

Die Schrift­stel­le­rin Özge İnan spannt den Bogen zwi­schen den 90er-Jah­ren und der aktu­el­len Debat­te wie folgt:

»Wenn jemand fragt, wann gewalt­sa­mer Pro­test jemals etwas gebracht hat, kann man auf den Asyl­kom­pro­miss der 90er ver­wei­sen, als Nazis mor­dend und brand­schat­zend die Poli­tik vor sich her­trie­ben – so nach­hal­tig, dass die­se es sich 30 Jah­re spä­ter noch zum Vor­bild nimmt«.

Änderungen am deutschen Grundrecht auf Asyl wären nur symbolisch

Hin­zu kommt: Es bleibt kom­plett offen, was besag­te Poli­ti­ker mit einem neu­en Asyl­kom­pro­miss errei­chen wol­len. Denn eine Abschaf­fung des deut­schen Grund­rechts auf Asyl in sei­ner heu­ti­gen Form in Arti­kel 16a Grund­ge­setz hät­te nur sym­bo­li­sche Bedeu­tung. Das Asyl­grund­recht wur­de in den 90er-Jah­ren dahin­ge­hend geän­dert, dass seit­dem bei Ein­rei­sen aus an Deutsch­land unmit­tel­bar angren­zen­den Staa­ten kei­ne Asyl­an­er­ken­nung mehr erfol­gen kann. Ein­zig bei einer Ein­rei­se mit dem Flug­zeug aus dem Her­kunfts­staat oder aus einem ande­ren Staat, indem die Rechts­stel­lung zum Schutz der Flücht­lin­ge und zum Schutz der der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten nicht sicher­ge­stellt ist, kann über­haupt noch zu einer Asyl­an­er­ken­nung füh­ren. Dies ist bei weni­ger als 1% der Schutz­su­chen­den der Fall.

In Fol­ge des­sen ist seit den 90er-Jah­ren die Flücht­lings­an­er­ken­nung nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on an die Stel­le der Asyl­an­er­ken­nung gerückt. Die Pflicht zur Aner­ken­nung der Flücht­lings­ei­gen­schaft ergibt sich dabei nicht nur aus der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on, son­dern auch aus euro­pa­recht­li­chen Vor­ga­ben wie der Qua­li­fi­ka­ti­ons­richt­li­nie. Ent­spre­chend muss man deut­lich sagen, dass Rufe nach der Abschaf­fung des Rechts auf Asyl letzt­lich dar­auf abzie­len, dass Deutsch­land sich aus der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on sowie von der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on zurück­zie­hen und eine Abkehr von der Euro­päi­schen Uni­on voll­füh­ren müss­te – alles Errun­gen­schaf­ten, die als Leh­ren aus dem zwei­ten Welt­krieg geschaf­fen wurden.

Aktueller Dauerbrenner der Debatte: Die Abschiebungen

Eben­so kommt kein Debat­ten­bei­trag mehr ohne die For­de­rung nach mehr Abschie­bun­gen aus. Selbst Grü­nen-Vor­sit­zen­de Ricar­da Lang for­dert, dass es Fort­schrit­te beim The­ma Rück­füh­rungs­ab­kom­men geben müs­se. Dabei bleibt völ­lig außer Acht, dass die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen nach Jah­ren des Anstiegs die­ses Jahr erst­mals zurück­ge­gan­gen ist – mit über 25.000 (8,3 Pro­zent) in mehr als nen­nens­wer­tem Umfang. Dies ist auch auf das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht zurück zu füh­ren. Aber auch die Abschie­bun­gen sind gestie­gen, im ers­ten Halb­jahr 2023 gab es 8.000 Rückführungen.

Ins­be­son­de­re wird beim Hype um die »Rück­füh­rungs­of­fen­si­ve« kom­plett über­se­hen, um wen es in der Pra­xis geht. Vie­le der Aus­rei­se­pflich­ti­gen kön­nen über­haupt nicht abge­scho­ben wer­den, egal wie sehr die Poli­tik das ger­ne möch­te: Rund 3.000 Gedul­de­te kön­nen wegen schwer­wie­gen­der »medi­zi­ni­scher Grün­de« nicht abge­scho­ben wer­den. In 25.000 Fäl­len wur­den Dul­dun­gen wegen »fami­liä­rer Bin­dun­gen« erteilt, die eine Abschie­bung nicht zulas­sen. Unter den Gedul­de­ten fan­den sich Ende letz­ten Jah­res 32.000 Men­schen aus dem Irak, 21.000 aus Afgha­ni­stan, 16.000 aus Nige­ria, 14.000 aus der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on und 11.000 aus dem Iran. In die­se Staa­ten fin­den aktu­ell aus guten Grün­den nur weni­ge oder über­haupt kei­ne Abschie­bun­gen statt. Allein der Blick auf die fünf häu­figs­ten Her­kunfts­län­der der Gedul­de­ten und auf die Grö­ßen­ord­nung der Zah­len zeigt damit, wie rea­li­täts­fern die Debat­ten um Aus­rei­se­pflich­ti­ge und angeb­lich zu weni­ge Abschie­bun­gen sind.

Die Tat­sa­che, dass Ende letz­ten Jah­res mit 136.000 mehr als die Hälf­te aller Gedul­de­ten seit mehr als fünf Jah­ren in Deutsch­land leb­te, spricht neben den genann­ten Haupt­her­kunfts­län­dern, in die Abschie­bun­gen nicht oder kaum mög­lich sind, dafür, dass die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen selbst mit här­tes­ten Abschie­be­re­geln nicht in grö­ße­rem Umfang zu sen­ken sind. Im Gegen­teil: Sie spricht dafür, den Men­schen end­lich eine Per­spek­ti­ve zu geben, um nach jah­re­lan­gem Auf­ent­halt in Deutsch­land und häu­fig guter Inte­gra­ti­on dau­er­haft hier Fuß fas­sen zu kön­nen und bei­spiels­wei­se auf dem Arbeits- und Woh­nungs­markt bes­se­re Chan­cen zu haben. Dadurch wür­den die Kom­mu­nen mehr ent­las­tet, als durch popu­lis­ti­sche und rea­li­täts­fer­ne Debatten.

Viel Schaumschlägerei statt konkreter Hilfe für die Kommunen

Statt pra­xis­ori­en­tier­ter Vor­schlä­ge, die den Kom­mu­nen tat­säch­lich Erleich­te­run­gen brin­gen, sind die meis­ten aktu­el­len Debat­ten­bei­trä­ge also mehr Popu­lis­mus als Prag­ma­tis­mus. Dabei gäbe es Maß­nah­men zur Fle­xi­bi­li­sie­rung bei der Unter­brin­gung, der Büro­kra­tie­er­leich­te­rung bei den Aus­län­der­be­hör­den und eigent­lich ver­ein­bar­te Maß­nah­men, wie die Abschaf­fung von Arbeits­ver­bo­ten, die direkt und schnell grei­fen könn­ten und von PRO ASYL schon mehr­fach in die Debat­te und gegen­über Bun­des- und Lan­des­re­gie­run­gen ein­ge­bracht wurden.

Beson­ders absurd ist, dass neben der eska­lie­ren­den Abschot­tungs­rhe­to­rik gleich­zei­tig stets betont wird, dass mehr Fach- und Arbeits­kräf­te ange­wor­ben wer­den sol­len. Dabei muss man sich fra­gen, ob mit der zuneh­men­den rech­ten Stim­mung im Land (sie­he z. B. die neue Mit­te-Stu­die) Deutsch­land als Ein­wan­de­rungs­land nicht noch unat­trak­ti­ver wird, als es für vie­le ohne­hin schon ist. Der Fokus auf Abschie­bun­gen mutet gera­de­zu absurd an, wenn man sich die Rekord­schutz­quo­ten in den Asyl­ver­fah­ren anschaut und den Betrie­ben zuhört, die hän­de­rin­gend nach Aus­zu­bil­den­den und Arbeitnehmer*innen suchen, wäh­rend schon in Deutsch­land leben­den Men­schen ver­bo­ten wird zu arbei­ten. Eine »moder­ne« Migra­ti­ons­po­li­tik sieht anders aus.

(wj/pva/ak)