Georgiens Kulturpolitik :
Gegen die Angst vorm mächtigen Nachbarn

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Gaga Chkheidze
Georgien hat dem Tbilisi Filmfestival die Unterstützung gestrichen und ersetzt an kulturellen Leitungsposten Experten durch Juristen: Gaga Chkheidze erhält die Goethe-Medaille und tadelt die Kulturpolitik seiner Heimat.

In Georgien hält der behördliche Druck auf das Kulturleben an. Dass der Filmmanager Gaga Chkheidze, der das renommierte Tbilisi International Film Festival 2000 gegründet hat und bis heute leitet, am 28. August in Weimar mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet wird, ist daher auch als Ermutigung zu verstehen. Chkheidze habe maßgeblich zur Entwicklung und Internationalisierung der georgischen Filmszene beigetragen und sich für die Anbindung Georgiens an europäische und internationale Programme eingesetzt, erklärte die Präsidentin des Goethe-Instituts, Carola Lentz. Georgiens Kulturministerin Tea Tsulukiani, Mitglied der vom Milliardär Bidsina Iwanischwili gelenkten Regierungspartei „Georgischer Traum“, strich Chkheidzes Festival die staatliche Unterstützung und hat ihn voriges Jahr als Direktor des Nationalen Filmzentrums, das das georgische Kino fördert und in der Welt bekannt macht, entlassen. Der Ministerin habe seine Kritik an Russlands Ukrainekrieg missfallen, erklärt Chkheidze, ein Germanist und Literaturwissenschaftler, der sich derzeit in Berlin aufhält, am Telefon der F.A.Z. in elegantem Deutsch.

Schon seit Jahren neutralisiert das Ministerium das Wirken angesehener Persönlichkeiten, offenbar um das Kulturleben an die administrative Leine zu legen. In diesem Monat wurde die Gründungsdirektorin von Georgiens Schriftstellerhaus, Nata­sha Lomouri, ersetzt durch die Parlamentarierin vom „Georgischen Traum“ Ketevan Dumbadze. Voriges Jahr waren hundert Mitarbeiter der Nationalen Agentur zur Bewahrung des Kulturerbes entlassen worden, davor wurde der Leiterin des Georgischen Kunstmuseums, Eka Kiknadze, gekündigt – bei allen handelte es sich um Experten, die durch kulturferne Juristen ersetzt wurden. Die neue Direktorin des Ethnographischen Museums, Nino Chipashvili, hatte zuvor die Strafvollzugsbehörde geleitet. Direktor des Filmzentrums wurde der Karrierediplomat Kaha Sikharulidze, sein Stellvertreter der regierungstreue Fernseh­moderator Bacho Odisharia. Die von Tsulukiani, die lange das Justizministerium geleitet hatte, ernannten Leute hätten keine eigene Stimme, sagt Chkheidze. Sie sollten vielmehr als Parteizellen in den Kulturinstitutionen diese abhängig machen wie einst in der Sowjetunion.

Die Regierungspartei gegen die Zivilgesellschaft

Tsulukiani hatte Chkheidze entlassen, nachdem dieser voriges Frühjahr Russlands Krieg verurteilt und sich mit der Ukraine solidarisiert hatte. Die Ministerin habe zum Krieg geschwiegen, obwohl Russland von Anfang an auch Kultureinrichtungen zerstörte, tadelt Chkheidze. Georgiens Ministerpräsident hat zwar den Krieg verurteilt, Sanktionen wurden aber nicht gegen Russland verhängt. Die Zivilgesellschaft und insbesondere Künstler solidarisieren sich mit der Ukraine, zumal Russland auch rund zwanzig Prozent ihres Landes besetzt hält. Doch die Regierungspartei „Georgischer Traum“, deren Begründer Iwanischwili in Russland reich wurde, will es sich mit dem übermächtigen Nachbarn nicht verscherzen.

Ein Dokumentarfilm über Iwanischwilis megalomanes Landschaftsparkprojekt, „Großer Baum auf Reise“ (Taming of the Garden) von Salomé Jashi, das 2021 auf internationalen Festivals Furore machte, durfte in Georgiens großen Kinos nicht vorgeführt werden. Jashis Film zeigt, wie entlang der georgischen Küste hundertjährige Riesenbäume ausgegraben und per Boot übers Schwarze Meer in einen exklusiven Privatpark verfrachtet werden. Das in seiner ruhigen Nüchternheit bewegende Gleichnis über die Privatisierung der Naturressourcen und das Sich­abkoppeln des Besitzers dieser Ressourcen von der Bevölkerung begleitet Dorfbewohner, die sich bekreuzigend von ihrem Baum Abschied nehmen, aber auch solche, die ihren nicht verkaufen. Der Exekutivsekretär der Regierungspartei Irakli Kobakhidze schmähte den Film als „schändlich“.

Georgien habe ausgezeichnete Filmemacherinnen, die mit europäischen Ländern koproduzieren, sagt Chkheidze. Beispielsweise Tsaawa Mariadia, deren „Wasser hat keine Grenzen“ über das Leben am Staudamm an der georgisch-abchasischen Grenze erzählt, oder Elene Naveriani, deren Liebesgeschichte einer gereiften Dorfbewohnerin „Blackbird Blackbird Blackberry“ dieses Frühjahr in Cannes Aufsehen erregte. Sein vor allem unter jungen Leuten beliebtes Tbilisi Filmfestival wird Chkheidze, nun noch unterstützt durch Privatsponsoren und die Stadt, aber auch vom Kulturförderprogramm der EU, weiterführen. Die Goethe-Medaille, betont er, sei eine zusätzliche Motivation.

Für die Zukunft Georgiens entscheidend sei das Ergebnis des Krieges in der Ukraine, sagt Chkheidze. Die derzeitige Regierung steuere das Land weg von der Demokratie. Geschätzte 200.000 Russen, die seit der Kriegserweiterung ins Land gekommen seien, trieben Mieten und Inflation in die Höhe und nähmen Einheimischen die Jobs weg. Viele Jüngere sähen für sich keine Perspektive in ihrer Heimat, sondern wollten nach Westeuropa oder Amerika. Jeder Erfolg der Ukraine könnte das ändern.